Gerätturnen „ . . . weil an Turnen einfach nichts rankommt“

Zweibrücken „ · Die Schwestern Anne und Emma Meister haben sich mit dem Gewinn der Rheinland-Pfalz-Meisterschaft von der Wettkampf-Bühne verabschiedet. Im Merkur-Gespräch erinnern sie sich an besondere Momente aus fast zwei Jahrzehnten Turnsport. Erzählen von dem besonderen Verhältnis zu ihrer Trainerin Sonja Rayer bei der VT Zweibrücken. Und sie erklären, wie eine Turnerin aussieht, die Volleyball spielt.

Anne (links) und Emma Meister beim Besuch in der Merkur-Redaktion. Die Schwestern haben ihre aktive Laufbahn als Turnerinnen beendet – nicht ohne zum Abschied von der Wettkampfbühne mit dem Team der VT Zweibrücken in Grünstadt noch einmal die Rheinland-Pfalz-Meisterschaft zu gewinnen. 
   Foto: Lucas Hochstein

Anne (links) und Emma Meister beim Besuch in der Merkur-Redaktion. Die Schwestern haben ihre aktive Laufbahn als Turnerinnen beendet – nicht ohne zum Abschied von der Wettkampfbühne mit dem Team der VT Zweibrücken in Grünstadt noch einmal die Rheinland-Pfalz-Meisterschaft zu gewinnen. Foto: Lucas Hochstein

Foto: Lucas Hochstein

Die Turnhalle ist unsere zweite Heimat. Seit wir denken können“, sagt Emma Meister. Was sich womöglich wie Pathos oder zumindest eine stilistische Übertreibung anhören könnte, klingt aus dem Mund der 23-Jährigen ernst, fast feierlich. Denn Emma und ihre zwei Jahre ältere Schwester Anne turnen tatsächlich fast ihr ganzes Leben. Und das werden sie auch in Zukunft. Von der Wettkampfbühne haben sie sich Anfang Dezember aber verabschiedet. Natürlich mit einem Knall – dem Gewinn der Rheinland-Pfalz-Meisterschaft im Gerätturnen. In Grünstadt holte das Team der Vereinigten Turnerschaft (VT) Zweibrücken um die Meister-Schwestern, Emma Baumann, Jill Grunder, Chiara Conrad, Lina Meister, Katharina Schmitz und Ersatz-Turnerin Mia Bouquet den Titel. Knapp drei Punkte lagen die Zweibrückerinnen (202,55) nach den Geräten Balken, Boden, Barren und Sprung vor der Kunstturnvereinigung Rhein-Ahr-Nette (199,70) und fast sechs vor dem Dritten TuS Ober-Ingelheim (196,80).

Für Anne und Emma Meister ist es nicht der erste Titel. „Irgendwann habe ich mal nachgezählt: Wenn man Einzel und Mannschaft zusammenzählt, war ich 24 Mal Gaumeisterin, 16 Mal Pfalzmeisterin und elf Mal Rheinland-Pfalz-Meisterin“, sagt Emma und lacht. Und trotzdem war der letzte Titel im letzten Wettkampf ein besonderer. „Ich habe den ganzen Ablauf noch einmal genossen. Das Gefühl, wenn man einläuft und die Mannschaften vorgestellt werden, dazu das erste Mal seit Corona wieder vor vielen Zuschauern . . .“, sagt Anne. „Es ist ja oft so, dass Sportler etwa wegen Verletzungen nicht selbst entscheiden können, zu welchem Zeitpunkt sie aufhören. Das war bei uns anders.“

Trotz des prall gefüllten Trophäenschranks der Schwestern – ein Selbstläufer war der erfolgreiche Abtritt von der Wettkampfbühne nicht. Im Gegenteil. „Wir sind nach Grünstadt gefahren und wussten über die anderen beiden Mannschaften im Finale gar nichts. Wir hatten keine Ahnung, wie unsere Chancen stehen“, erinnert sich Anne. Und Emma erklärt „Vor Corona hat man die anderen Teams ein wenig gekannt, aber da sind seitdem viele junge Turnerinnen nachgerückt. Genauso wie bei uns.“

Strahlende Siegerinnen: Anne (links) und Emma Meister nach dem Gewinn der Rheinland-Pfalz-Meisterschaft Anfang Dezember in Grünstadt.

Strahlende Siegerinnen: Anne (links) und Emma Meister nach dem Gewinn der Rheinland-Pfalz-Meisterschaft Anfang Dezember in Grünstadt.

Foto: Privat

Die VT Zweibrücken hatte sich vor dem Saison-Finale in ihrer Landesliga gegen andere Teams des Pfälzischen Turnerbundes durchgesetzt und damit das Final-Ticket gelöst. Das Gerät, das in Grünstadt den Ausschlag zugunsten der VT gab, war der Stufenbarren. Dort holten die Zweibrückerinnen rund zwei Punkte mehr als ihre Gegnerinnen aus dem rheinhessischen Turnerbund und dem Turnverband Mittelrhein, gegen die sie erstmals in dieser Saison antraten. „Am Stufenbarren sind wir traditionell stark“, sagt Anne. Und auch beim „Zittergerät“ vieler VT-Turnerinnen – dem Schwebebalken – zeigte das Team grundsolide Auftritte und hielt die Gegner auf Distanz.

Der Triumph im letzten Wettkampf einer langen Laufbahn. Da wurde es doch sicher auch emotional, oder? „Klar, danach sind die Trainer der anderen Mannschaften, die wir seit Jahren kennen, gekommen und haben sich verabschiedet. Aber es ging. Wir bleiben ja im Verein und turnen auch weiter, nur eben nicht mehr bei Wettkämpfen“, sagt Anne. Gerührter als die Schwestern war aber jemand anderes „Unsere Trainerin Sonja Rayer hat mir erzählt, dass sie nach dem Wettkampf schon eine Träne verdrückt hat, weil sie sich so für uns gefreut hat. Sie hat uns ja praktisch aufwachsen sehen“, sagt Emma.

Anne Meister hat den Sprungtisch fest im Griff. Das stellt die heute 25-Jährige unter anderem auf diesem Bild aus dem Jahr 2017 unter Beweis.

Anne Meister hat den Sprungtisch fest im Griff. Das stellt die heute 25-Jährige unter anderem auf diesem Bild aus dem Jahr 2017 unter Beweis.

Foto: nos

Mit dem Sport begonnen hatten die Schwestern bei der VT aber noch nicht bei Rayer. Die Mutter der Meisters – ebenfalls eine Turnerin – nahm die beiden zuerst zum Mutter-Kind-Turnen mit. Weiter ging es in der allgemeinen Turnstunde. „Die Trainer des Leistungsbereichs schauen dort immer mal wieder rein. Aber ich war als kleines Kind gar nicht so gut – und außerdem war die Leistungs-Gruppe schon voll. Dann habe ich aber noch mal ein Rad vorturnen dürfen und kam mit fünf Jahren doch noch rein“, erinnert sich Anne und muss schmunzeln. Schwester Emma kam ebenfalls als Fünfjährige zur Gruppe der jungen Leistungsturnerinnen. Sie war aber bald so gut, dass sie früh bei den Älteren mitmachen durfte und turnte fortan zusammen mit ihrer Schwester. „Das war cool. Dass wir fast unsere ganze Laufbahn zusammen verbringen und Erfolge feiern konnten“, sagt die 23-Jährige.

Wie lange sie und ihre Schwester den Sport jetzt schon betreiben, kann Emma manchmal selbst kaum glauben. „Ich sehe Videos von mir, im Alter von sieben Jahren oder so, auf denen ich die wildesten Flickflacks schlage. Dann denke ich: Was? Sowas konntest du damals schon – und kann mich null an diesen Moment erinnern.“ An andere dagegen schon. „Oh, da könnte man so viel nennen, fang du mal an, Emma“, erwidert Anne auf die Frage, was denn nun die bislang erfolgreichsten oder prägendsten Momente ihrer langen Laufbahn waren. „2012 haben wir zum Beispiel mit dem Helmholtz-Gymnasium das Finale von ‚Jugend trainiert für Olympia‘ in Berlin gewonnen. Bei dem Wettbewerb ist man immer weit rumgekommen und konnte die Städte besichtigen“, erinnert sich Emma unter anderem an den Besuch des Berliner Zoos und an das KADEWE – das für das Taschengeld der damaligen Gymnasiasten aber ein wenig zu kostspielig war. „Außerdem wurde ich mit 13 zusammen mit meiner Cousine Jill Grunder Sportlerin des Jahres bei der VT Zweibrücken“, zählt Emma weiter auf. Doch jeden Erfolg aus fast zwei Jahrzehnten zu nennen – ein Ding der Unmöglichkeit.

Emma Meister zeigt 2016 ihr Können am Stufenbarren bei den Gaumeisterschaften. Die hat die heute 23-Jährige übrigens 24 Mal gewonnen.

Emma Meister zeigt 2016 ihr Können am Stufenbarren bei den Gaumeisterschaften. Die hat die heute 23-Jährige übrigens 24 Mal gewonnen.

Foto: @ Marco Wille -Photographie/Marco Wille

Das ist aber auch gar nicht nötig: „Es sind für mich sowieso eher die kleinen Dinge, die in Erinnerung geblieben sind. Wenn zum Beispiel nach der Wettkampfsaison das große Trampolin aufgebaut wurde. Dann gab es zum Abschluss ein spaßigeres Training und Süßigkeiten“, erzählt Anne. Auch sie muss sich manchmal kneifen, wenn sie daran denkt, wie lange sie schon auf Leistungsniveau turnt. „Würde ich weitermachen, wäre 2023 mein zwanzigstes Wettkampf-Jahr. Mit Mitte 20.“

Einen weiten Teil ihrer langen Reise ist Sonja Rayer mit den Schwestern gegangen. Die Trainerin der VT übernahm Anne und Emma im frühen Kindesalter von Birgit Geib-Becker. „Was beide Trainerinnen uns ermöglicht haben, wieviel Freizeit sie geopfert haben, ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt Emma. Rayer fuhr mit ihr zum Beispiel 2014 stets nach Hassloch, damit sie bei der KTV Rheinhessen-Pfalz in der Regionalliga an die Geräte gehen konnte. Auch Anne Meister hat „Riesenrespekt davor, wie viel Zeit Sonja in der Halle verbringt, um ihre Leidenschaft an jüngere Turnerinnen weiterzugeben.“ Auch die Schwestern trainieren bei der VT den Nachwuchs. „Aber Cheftrainerin, fünf Mal in der Woche, das ist etwas anderes“, weiß Anne.

Vor allem aber ist den Schwestern der verständnisvolle und menschliche Umgang mit ihrer Trainerin in Erinnerung geblieben. Einheiten, die über die Belastungsgrenzen hinausgehen, körperlicher oder psychischer Druck, der Sportlerinnen auf Spitzenniveau – das zeigt nicht zuletzt der Fall Gabriele Frehse am Stützpunkt in Chemnitz – mitunter zugemutet wird, ist den Schwestern fremd. „Sonja kennt uns so lange. Sie weiß, was wir können. Wir verstehen uns blind. Und wenn wir sagen, es reicht jetzt mit Übungen, dann weiß sie, dass es stimmt. Im Training sind auch mal Tränen geflossen. Aber nur weil wir uns über uns selbst geärgert haben. Den Druck haben wir uns wenn überhaupt selbst gemacht“, sagt Emma. Und Anne ergänzt: „Wir betreiben Leistungssport. Natürlich fahren wir auf Wettkämpfe und wollen dort gewinnen. Aber Spaß ist bei der VT ein Riesenfaktor. Vielleicht sogar der größte. Ohne Vertrauen kannst du nicht fünf Mal in der Woche mit einer Trainerin in der Halle stehen und turnen bis du 25 bist.“

Der Grund dafür, dass bei Anne – zumindest auf Wettkampfniveau – mit 25 Jahren das Ende der Laufbahn gekommen ist, ist derselbe wie bei Emma: Die Zeit. Die Schwestern haben ihr Lehramtsstudium beendet – im Januar beginnt das Referendariat. Was die beiden studiert haben? Natürlich Sport! Das zweite Fach Emmas ist Erdkunde. Anne hat daneben Englisch studiert – und noch ein drittes Fach, so dass beide nun zeitgleich mit dem „Ref“ beginnen. „An unterschiedlichen Schulen“, sagt Emma. Als müsste sie darauf hinweisen, dass die Schwestern dann eben doch nicht alles gemeinsam machen.

Der Einstieg ins Berufsleben und Sport auf Spitzenniveau lassen sich für beide nicht vereinbaren. „Wenn du jung bist, ist es einfach. Du gehst nur in die Schule, kannst vier oder fünf Mal in der Woche trainieren. Das wurde dann schon mit dem Beginn des Studiums schwieriger. Die Elemente und die Technik verlernt man zwar nicht. Aber vier Geräte sind intensiv. Man muss immer im Training bleiben, damit man nicht an einem nachlässt“, sagt Emma. Und Anne erklärt: „Bei den Übungen wirken große Fliehkräfte. Mir fehlt teilweise jetzt schon die Kraft, bestimmte Elemente zu halten. Ich versuche schon länger nur noch, wieder auf das Niveau zurückzukommen, das ich einmal hatte. Ich war eigentlich auch mit meinem Wettkampf in Grünstadt nicht richtig zufrieden.“

Ein Bänderriss („Ein blödes kleines Band im Fuß – ich konnte ein Jahr nicht richtig turnen“) und die Pandemie taten ihr Übriges dazu, dass Anne heute nicht mehr ganz das Leistungsniveau früherer Jahre besitzt. „Wir haben ja keine Geräte bei uns im Garten stehen. Während Corona haben wir zwar zwei, drei Mal die Woche Krafttraining gemacht. Aber dann kamen wir zurück in die Halle und fühlten uns, als hätten wir trotzdem keine Energie mehr“, erzählt die 25-Jährige. „An den Geräten, werden ganz spezifische Muskeln gefordert, das kann man zu Hause schlecht üben. Nach dem ersten Training in der Halle hatten wir richtig Muskelkater“, erinnert sich Emma. „Und wenn man nicht mehr so stabil ist, wird es im Wettkampf zum Lotto, ob eine Übung gut klappt – Zumindest mir hat es deshalb auch nicht mehr ganz so viel Spaß gemacht“, meint ihre Schwester.

Gedanken, dem Turnen aufgrund von Corona den Rücken zu kehren, hatten beide aber nie. „Im Gegenteil, da haben wir gemerkt, wie sehr wir die Geräte vermissen. Weil für uns eben einfach nichts an Turnen rankommt“, sagt Emma Dabei haben die Schwestern die Alternativen ausprobiert: Leichtathletik und Tanz, Tennis und Skifahren. Kurzzeitig auch Handball.

Begleitet hat sie der Sport auch in der Zeit, in der sie nicht mehr ganz so viel Zeit für ihn hatten. Zum Beispiel im Studium. „Mich hat mal ein Dozent gefragt: ‚Du turnst, oder?’ – es war aber das Schwimm-Seminar“, erzählt Anne und lacht. Und Emma erklärt: „Das Gefühl für den eigenen Körper lernt man beim Turnen ganz früh. Deshalb fallen uns viele Techniken nicht schwer. Die Rollwende beim Schwimmen ist fast wie ein Salto“ Auch beim Volleyball konnte Anne ihre „Turn-Gene“ nicht verstecken. „Die anderen meinten: ‚Du spielst wie eine Turnerin. Irgendwie elegant“, berichtet die 25-Jährige und muss wieder lachen.

Die Leidenschaft für das Turnen lodere in beiden nach dem Ende der Wettkampf-Laufbahn weiter, versichert Emma, die sich wie ihre Schwester auch als Trainerin bei der VT engagiert. Pro Jahrgang turnen etwa drei bis vier Mädchen in dem Verein. „Es ist nicht die Masse wie beim Fußball. Aber die meisten beginnen früh und bleiben dann dabei. Sie werden zusammen groß. Die Mädchen, die jetzt 16, 17 sind, habe ich schon vor zehn Jahren trainiert, die haben eine ganz andere Bindung zu ihrem Sport“, erklärt Anne.

Wie einst Sonja Rayer die Schwestern sehen jetzt also Anne und Emma Meister dem Nachwuchs der Vereinigten Turnerschaft beim Erwachsen werden zu. Und wollen gemeinsam dafür sorgen, dass auch diese den Sport so lieben lernen, dass die Turnhalle ihre zweite Heimat wird.

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