WM-Kolumne Als Häufchen Elend aus überragendem Sommer

Die kurze Verschnaufpause vor dem Anpfiff des für Deutschland entscheidenden letzten Gruppenspiels nutze ich, um einmal in mich zu gehen. Kann das noch was werden mit Jogis Jungs bei dem Turnier in Russland?

WM-Kolumne: Als Häufchen Elend aus überragendem Sommer
Foto: SZ/Robby Lorenz

Oder bleibt das bislang nicht so berauschende Gefühl der bisherigen Auftritte nach dieser WM durch das erstmalige Vorrunden-Aus haften? Dabei sind doch gerade solche Großereignisse wie dafür gemacht, unvergessliche Momente zu bescheren. Emotionen, an die Fan sich sein Leben lang erinnert. Ob die Wasserschlacht von Frankfurt, bei der Merkur-Leser Helmut Kilb live dabei war, das für Albert Sutter unvergessliche Endspiel von Yokohama 2002 oder die grandiose Mexikoreise Volker Petris 1986.

Krame ich in meinem Gedächtnis, so setzen meine Erinnerungen an das Fußball-Großereignis – natürlich altersbedingt – erst 1990 so richtig ein. Kein schlechter Startpunkt. Schön sind die Erinnerungen daran, wie ich damals mit meiner großen Schwester das Grundgesetz aus dem Regal schnappte, vor dem Finale daraus die Nationalhymne auswendig lernte, um vor dem Anstoß Fähnchen schwenkend auf dem Sofa mitsingen zu können. Die Folge: Ein nicht verarbeitetes Trauma. Bis heute nimmt unser kleiner Bruder, der damals noch nicht lesen konnte, uns übel, dass wir ihm den Text nicht beigebracht haben, er sich in diesem besonderen Moment als Außenseiter fühlen musste. „Mitjubeln hat er nach dem Elfmeter-Siegtor von Andy Brehme doch immerhin können“ – lautet noch 28 Jahre später unsere Verteidigung.

Ist der jüngste WM-Titel von Basilien auch noch sehr präsent ist, so verbinde ich mit Fußball-WM aber doch vor allem den Sommer 2006. Als Sportstudentin in Köln bleibt diese Weltmeisterschaft im eigenen Land für mich unvergesslich. Ja, wir sind „nur“ Dritter geworden. Diese vier Wochen waren aber mehr als nur der reine Fußball. Unbeschreiblich bleiben die Partys mit den schwedischen Fangruppen, die ganze Parks in der Domstadt einnahmen. Unbegreiflich wie ein Englandfan – mit Glatze und freiem Oberkörper, die beide leuchteten wie Rentier Rudolphs Nase – mich packte, mir einen Kuss auf die Stirn drückte und Loblieder auf das Turnier der Deutschen sang. Unvergleichlich die durchfeierten und durchtanzten Sommernächte mitten auf der Zülpicher Straße mit riesigen Menschenmassen – und das ganz ohne Terrorangst. Zerstören kann die positive Emotion dieser denkwürdigen Szenen auch nicht mein Abschlussbild des Turniers: Als Frankreich-Sympathisantin und Zidane-Bewunderin wie ein Häufchen Elend auf einer Bordsteinkante zwischen lautstark feiernden Italienern!

Ganz ähnlich sitze ich gestern Abend da. Kopfschüttelnd, ob der schwachen Leistung. Ungläubig, trotz der zuvor bekannten Möglichkeit des Ausscheidens. Diese WM in Russland wird ganz sicher nicht jahrzehntelang in Erinnerung bleiben – zumindest nicht in guter.

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