LAZ ZWEIBRÜCKEN Frust in Jetzt-erst-recht-Haltung umwandeln

Zweibrücken · Der Vorsitzende des LAZ Zweibrücken spricht – nicht ohne kritische Worte – über das Sportjahr, den Teil-Lockdown und Nachwuchssorgen.

 Die LAZ-Spitzenathleten Raphael Holzdeppe und Christin Hussong befinden sich derzeit in der Vorbereitung auf das Olympia-Jahr. Ob die Spiele tatsächlich stattfinden, wie die Quali verlaufen soll? Vieles ist derzeit offen.

Die LAZ-Spitzenathleten Raphael Holzdeppe und Christin Hussong befinden sich derzeit in der Vorbereitung auf das Olympia-Jahr. Ob die Spiele tatsächlich stattfinden, wie die Quali verlaufen soll? Vieles ist derzeit offen.

Foto: maw/Martin Wittenmeier

Den Kopf in den Sand zu stecken, ist nicht das Ding von Alexander Vieweg. Die Coronavirus-Pandemie stellt aber auch den Profi-, Vereins- und Breitensport vor ungeahnte Herausforderungen. Der 34 Jahre alte Vorsitzende des LAZ Zweibrücken spricht im Interview über Hindernisse, Probleme und Sorgen, die die Krise mit sich gebracht hat. Über das, was der Verein 2020 dennoch geschafft hat. Und er wirft einen Blick auf das ungewisse Olympia-Jahr 2021.

Herr Vieweg, vor acht Jahren haben Sie gemeinsam mit Bernhard Brenner die Vereinsführung des LAZ Zweibrücken übernommen. Bis zu dessen Rückzug in diesem Jahr haben Sie schon viele Herausforderungen gemeistert, sportliche Erfolge und Rückschläge erlebt. So etwas wie 2020 gab es allerdings noch nie. Ist diese Pandemie der bislang größte Gegner für Ihren Sport?

VIEWEG Ja, definitiv. Nicht nur für die Leichtathletik. Ich glaube, dass auch alle kommerziellen Sportarten derzeit in eine Situation kommen, die sie so niemals haben absehen können. Die Leichtathletik ist, was das betrifft, vielleicht noch eine, die kleinere Einbußen spürt. Wenn ich den Fußball sehe, da merken jetzt viele: Es geht nicht um Fans. Es geht nicht um die Besucher im Stadion. Es geht einzig und alleine um Kommerz. Es geht um Geld und die Wirtschaftskraft, die dahinter steckt. Und die ist jetzt deutlich nach unten limitiert. Ich weiß auch nicht, wie der Fußballfan das, wenn Corona dann mal vorbei ist, verkraftet. Etwa, dass man sich null bemüht hat, wenn 2000 Zuschauer ins Stadion dürfen, auch 2000 Fans reinzulassen, anstatt der Funktionäre und Sponsoren. Ich denke, dass da auch ein Wandel stattfinden wird.

Der Amateursport steht derzeit wieder still. Können Sie diese Entscheidung von Bund und Ländern nachvollziehen?

VIEWEG Ich verstehe, dass man politische Entscheidungen treffen muss, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Ich will die allgemeinen Regelungen auch gar nicht in Frage stellen. Aber es gibt schon Kritikpunkte.

Welche genau?

VIEWEG Im ersten Lockdown haben wir eng mit dem Land zusammengearbeitet. Gerade, als es darum ging, stückweise das Training wieder aufzunehmen. Jetzt muss ich ehrlicherweise sagen, bin ich ziemlich enttäuscht, dass man es in Rheinland-Pfalz geschafft hat, die Corona-Verordnung in Copy-and-paste-Manier einfach zu übernehmen und sich nicht die Mühe gemacht hat, wie etwa in anderen Bundesländern, erstmal die Regel zu definieren: Wann ist ein Profi ein Profi, wann ist ein Amateur ein Amateur? Für mich wäre es zudem sehr sinnvoll gewesen, den Landeskader-Athleten auch das Training zu gewährleisten. Wir haben in Zweibrücken eine riesige Halle, wir haben Platz, wir wissen mittlerweile, wie wir im Krisenmodus das Training bewerkstelligen können. In Krisenzeiten kann ich doch die Kompetenz an den einzelnen Stützpunkten zur Hilfe nehmen. Wir haben 1800 Quadratmeter Trainingsfläche, wir reden hier vielleicht von zehn Athleten im Landeskader-Bereich – andere Landesverbände haben das ja auch hinbekommen. Es würden nie mehr als fünf Athleten gleichzeitig hier trainieren – stell dich mal ins Outlet in zehn Geschäfte mit fünf Leuten. Das ist Wahnsinn.

Die LAZ-Top-Athleten Christin Hussong und Raphael Holzdeppe dürfen weiter trainieren. Die beiden wissen wahrscheinlich, was nach dem Start in die Vorbereitung auf das Olympia-Jahr zu tun ist. Aber welche Möglichkeiten haben die anderen, etwa die Landeskader-Athleten nun?

VIEWEG Raphi und Christin, die machen ihr Ding, so wie im ersten Lockdown auch, in dem sie zwischenzeitlich ja auch nicht bei uns trainieren durften. Jetzt in der Winterzeit steht ohnehin relativ viel Krafttraining auf dem Plan, das können sie in der Halle machen. Wir sind derzeit vier Leute, die hier trainieren. Für so eine Halle ein Witz. Für die Landeskader-Athleten machen wir jetzt eben ein Individualtraining 1:1. Zwei Personen aus zwei Haushalten. Einfach, um die Sportler dabei zu halten. Damit die Athleten in dieser schwierigen Zeit, in der sie nicht zusammen trainieren können, auch den Leistungsgedanken verinnerlichen und sagen können: ‚Komm, du trainierst für etwas.’ Aber wenn das ganze wieder länger gehen sollte, dann muss die Verordnung eigentlich mit Sinn und Verstand überarbeitet werden. Es ist ja klar, dass wir jetzt kein Kindertraining machen, mit Kids, die durcheinanderwuseln. Das würde ich auch keinem Trainer aufbürden. Aber mit Jugendlichen, mit verantwortungsvollem Trainer, wenn Abstands- und Hygieneregelungen eingehalten werden können – da finde ich, sollte man das aufheben.

In dem Fall würden die Jüngsten erst einmal außen vor bleiben. Wie hart trifft das erneute Lahmlegen des Amateursports Euren Nachwuchsbereich, macht Ihr Euch Sorgen um das Halten und die Neugewinnung von Talenten?

VIEWEG Das Halten ist derzeit der Punkt. Du versuchst die Talente ja aus dieser breiten Masse des Amateurbetriebs zu entwickeln. Irgendwann beginnt einer mehr zu trainieren, sich zeitintensiver damit zu beschäftigen. Da wächst ein Leistungsgedanke. Und den willst du natürlich fördern – und jetzt ist es schon das zweite Mal in diesem Jahr so, dass den Athleten, die noch in Anfangsschuhen stecken, die Plattform dafür genommen wird. Für den ein oder anderen ist es auch schwer, wenn er nicht im Kollektiv trainieren kann, was für viele ein Gedanke ist, sich überhaupt im organisierten Sport zu betätigen. Wenn das wegfällt . . . Und zusätzlich neue Sportler zu gewinnen, puh. Der Talent-Cup etwa wird in diesem Jahr ausfallen. Das ist wirklich schade, zumal wir ein ganz anderes Format machen wollten, etwas zeitgerechter: In die Schulen gehen, mit Top-Athleten vorneweg. Eigentlich versucht man aber derzeit nur mehr oder weniger, das zu erhalten, was man hat.

Wie war Eure Erfahrung nach dem ersten Lockdown im Frühjahr, sind die meisten Nachwuchssportler zurückgekehrt oder gab es Verluste?

VIEWEG Definitiv waren die meisten froh, sich wieder gemeinsam bewegen zu können. Ich denke, nach so einer Phase weiß man auch mal zu schätzen, was man alltäglich eigentlich hat. Im Sommer war das auch nicht so schlimm, da konntest du rausgehen. Jetzt ist das eine Durchhalte-Frage: Können wir im Dezember wieder oder erst im Januar, Februar, März? Das macht es schwer.

Man kann natürlich sagen, das geht derzeit allen Vereinen so, was wahrscheinlich – wenn überhaupt – nur ein kleiner Trost ist.

VIEWEG: Das stimmt. Und wir sind ja sportlich noch in einer guten Ausgangsposition als Betreiber einer eigenen Halle. Wenn ich städtisch auf Hallen angewiesen bin und hab schon da jemanden, der mir sagt, was ich tun und lassen soll – dann ist das ja noch schwieriger. Ich hatte zwischendrin bei uns im LAZ drei, vier Schulen, die ihre Sportabnahme-Prüfungen bei uns gemacht haben unter unserem Hygienekonzept, weil die nirgends in die Hallen gekommen sind. Natürlich muss man sich fragen, will ich das eigenverantwortlich machen? Mach’ ich Konzepte dafür, unterschreibe ich dafür? Klar muss man da Verantwortung übernehmen und sich auch mal aus dem Fenster lehnen.

Bevor es keiner macht?

VIEWEG Ja, was würden wir denn sonst machen? Im Breitensport ist es vom Vermögen her vielleicht auch machbar, das mal auszusetzen. Aber beim Leistungssportgedanken ist das kein Zustand. Da ist es auch der Wille, der dich voranbringt. Wenn dieser Wille, verletzungsbedingt, emotionsbedingt, ereignisbedingt gebremst wird, ist immer die Frage, wie viel Kraft du da noch reinsetzt. Bei einem Profi, der weiß, wie der Hase läuft, ist das kein Thema. Der wird das auch überstehen. Der wird sich denken: Corona geht auch wieder vorbei, irgendwann geht es wieder los. Aber jemand, der noch auf dem Weg dorthin ist, der muss so etwas anders verkraften.

Daher auch das Einzeltraining?

VIEWEG Richtig, da wollen wir mit dem Individualtraining ansetzen. Thomas Beyerlein macht auch Stabilitäts-Übungen via Videotraining. Die Gruppen strukturieren und organisieren sich schon ein bisschen, um die Leute bei der Stange zu halten. Bei den Landeskadern ist es einfach so, dass wir Lösungen finden müssen im Rahmen der Gesetzgebung, um irgendwie an den Leuten dran zu bleiben. Und wenn das wirklich nur einfach in der Allee ist, mit zwei Personen aus zwei Haushalten. Das ist für den Trainer ein Springen, der macht dann eineinhalb Stunden mit einem Athleten, dann mit dem nächsten – in sechs Stunden demnach vier Leute. Aber nur so geht’s.

Zeigt sich da einmal mehr, wie wichtig Eure zahlreichen Trainer sind, auch die ehrenamtlichen?

VIEWEG Die ehrenamtlichen Trainer klar. Aber auch unsere Hauptamtlichen Andrei Tivontchik und Alexander Gakstädter. Die haben zum Glück das Know-How, um damit umzugehen.

Wie wichtig war für den Verein, für die Athleten die Durchführung des Sky‘s-the-Limit-Meetings sowie des Pfalzmeisterschaft-Teils in Zweibrücken auch in diesem Jahr?

VIEWEG Für die Sportler, aber gerade auch für den Verein war es glaube ich sehr wichtig, das Meeting auch in diesem Jahr durchzuziehen. Für mich persönlich auch, weil ich einfach ein Problem mit diesem Kopf-in-den-Sand-Gestecke habe. Wir haben eine Veranstaltung mit Zuschauern gemacht, die ohne einen Corona-Fall über die Bühne gegangen ist. Wir haben die Pfalzmeisterschaften durchgeführt, um einfach dieses bisschen Normalität zu erhalten. Ich hoffe, natürlich auch – da ist wieder der Punkt Kommerz –, dass die Sponsoren und Partner das auch sehen, merken, da geht was weiter im Rahmen der Möglichkeiten. Und vielleicht ist Corona dann irgendwann nicht mehr so präsent – dann muss man relativ schnell wieder das Ruder aufnehmen und weitermachen. Und man muss auch vorankommen. Wir überlegen daher auch jetzt wieder, wie wir Hallenveranstaltungen vielleicht irgendwie bei uns umsetzen können. Einfach, damit das nicht alles wegbricht.

Für Verein und Athleten nicht.

VIEWEG Richtig. Für die Athleten gab es im Sommer mal so eineinhalb Monate, in denen es ein paar Veranstaltungen gab – und dann war wieder alles eingedampft. Für die Motivation sind die Wettkämpfe enorm wichtig. Gemeinsames Training fällt weg, Wettkämpfe auch – da kann man sich schon fragen: Wofür soll ich mich überhaupt quälen?

Fällt das Fazit beim Blick auf das Sportjahr eher ernüchternd aus?

VIEWEG (seufzt) Es ist natürlich eine Situation, die wir so noch nie hatten. Eine, mit der wir auch in der Zukunft vielleicht lernen müssen, umzugehen. Und das werden wir auch tun. Ich glaube, man hätte noch viel mehr machen können, wenn man den Mut gehabt hätte, andere Synergien zu nutzen. Das wird vielleicht in Zukunft besser – würde ich mir wünschen. Eine Schockphase haben wir ja alle mitgemacht, für mich geht es dann aber schnell darum, wie man mit Verstand das eine oder andere umsetzen kann. Von den sportlichen Erfolgen in diesem Jahr? Bei der deutschen Meisterschaft, klar, gab es Medaillen. Die kleinen deutschen Meisterschaften für den Nachwuchs, die bei den Athleten immer großes Thema sind, sind leider ausgefallen. Das war schade. Aber wir haben lange darüber gesprochen, dass die betroffenen Athleten den Frust, den es gibt, im nächsten Jahr umwandeln in eine Jetzt-erst-recht-Haltung. Die Veranstaltungen, die den Verein immer so ein bisschen zusammenhalten neben dem Meeting, sind auch weitestgehend eingestampft worden. Ich hoffe einfach, dass Trainer, Vorstände, die sich echt bemühen, es schaffen, den Laden so zusammenzuhalten, dass wir dann, wenn Lockerungen kommen, wieder da weitermachen können, wo wir waren. Wir werden auch nie irgendwelche Unterstützung der Trainer in der Lockdown-Phase einfrieren. Es ist für mich selbstverständlich, dass wir das zusammen schaffen.

Wenn Sie Richtung 2021 schauen, wie groß ist die Hoffnung auf eine Rückkehr zur alten Normalität?

VIEWEG Die Frage ist, was ist Normalität? Ich gehe davon aus, dass der Nachwuchssport, etwa die Pfalzmeisterschaften, sich wieder auf mehrere kleinere Veranstaltungen verteilt. Das fand ich sehr charmant dieses Jahr, das hatte ein bisschen Wohnzimmer-Atmosphäre. Und die Athleten hat’s gefreut, weil sie mehr Disziplinen machen konnten, weil es entzerrt war. Meetings? Es wird sich zeigen, wie die Sponsoren, die Wirtschaft, die Partner zu den Veranstaltern stehen. Das wird sehr spannend – auch bei uns. Ich fange jetzt die Gespräche an für das neue Jahr, aber ich kann noch gar nicht sagen, in welche Richtung es geht. International? Wenn ein Impfstoff kommt, kann man vielleicht internationale Reisen wieder bewerkstelligen. Ob Olympia stattfindet? Ich kann es echt nicht sagen. Man kann die 20 000 Menschen auch nicht alle vier Wochen in Quarantäne stecken, das funktioniert nicht so einfach. Ansonsten werden es komplett medial aufbereitete Spiele.

Und allein der Weg dorthin wäre noch ein langer.

VIEWEG Ja, auch für die Athleten. Unabhängig davon, ob alle vergleichbare Trainings- und Wettkampfmöglichkeiten haben, weicht der Weltverband ja nicht von dieser Weltrangliste ab. Dabei haben die Sportler doch gar keine Möglichkeit, Punkte zu sammeln. Da werden in Tschechien fünf Meetings in einer Woche gemacht, bei denen es Punkte gibt, für die aber nur die Tschechen eingeladen werden. In den USA genauso. Das eine ist also echt, ob Olympia stattfindet und das zweite die Frage, mit wie vielen Athleten es der DLV überhaupt schafft, dabei zu sein.

 Der Talentcup des LAZ Zweibrücken entfällt in diesem Jahr.

Der Talentcup des LAZ Zweibrücken entfällt in diesem Jahr.

Foto: nos
 Das Sky’s the Limit des LAZ Zweibrücken fand auch im Corona-Jahr 2020 statt.

Das Sky’s the Limit des LAZ Zweibrücken fand auch im Corona-Jahr 2020 statt.

Foto: maw/Martin Wittenmeier
Der LAZ-Vorsitzende Alexander Vieweg blickt mit gemischten Gefühlen auf das Jahr 2020 zurück.

Der LAZ-Vorsitzende Alexander Vieweg blickt mit gemischten Gefühlen auf das Jahr 2020 zurück.

Foto: Mirko Reuther

Welche Schlagzeile würden Sie 2021 gerne lesen?

VIEWEG Ja gut, wir haben Olympia. Erstens: Olympia findet statt! Und: LAZ mit mindestens zwei Athleten dabei. Und dann in einem weiteren Text natürlich auch eine Medaille. Zudem hoffe ich für 2020, dass wir es im Profisport zurück zu der Normalität schaffen, dass die Leute wieder davon leben können. Und für den Amateursport, dass man zukünftig vielleicht nicht nur den Profisport bei Verordnungen berücksichtigt, sondern auch den dahin führenden, leistungsorientierten Sport. Ansonsten geht es genauso wie mit dem ganzen Sportsystem in Deutschland: Wir fördern immer nur oben, unten machen wir viel zu wenig.

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