Plötzlich entdeckt Europa die gemeinsame Verteidigung

Brüssel · Es ist ein europäischer Aufbruch, der selbst für Eingeweihte reichlich überraschend kam. Dass die EU sich in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf eigene Füße stellen will, war schon im Vorfeld der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten vom Vorhaben zu einem konkreten Plan gereift. Doch gestern holte die Brüsseler EU-Kommission eine kleine Sensation aus der Schublade: "Um unsere kollektive Sicherheit zu garantieren, müssen wir in die gemeinsame Entwicklung von Technologien und Ausrüstung mit strategischer Bedeutung investieren", erklärte der Präsident der EU-Behörde, Jean-Claude Juncker . Dazu soll ein eigener Verteidigungsfonds gegründet werden, bestückt mit jährlich rund fünf Milliarden Euro der Mitgliedstaaten. Das dürfte denen nicht schwerfallen, meint die Kommission: Denn durch mangelnde Absprache und Abstimmung bei Beschaffung, schlechte Einkaufspolitik und fehlende Forschung vergeudeten die Länder derzeit zwischen 20 und 100 Milliarden Euro im Jahr.

Konkret will man im kommenden Jahr mit 20 Millionen Euro für die Forschung starten, die bis 2020 auf 500 Millionen ausgeweitet werden soll. Ziel ist ein Programm, um bei Elektronik, Werkstoffen, Verschlüsselungssoftware und Robotertechnik weiterzukommen. Parallel dazu könnten die Mitgliedstaaten in Einkäufe von Drohnen oder Hubschraubern investieren - nach dem Motto "Nimm drei, zahle zwei".

In der Vergangenheit hielten solche Vorstöße nie lange. Auch die Bundesregierung stoppte mehrfach die Versuche, wehrtechnische Projekte zu vergemeinschaften, weil man befürchtete, dass der Einfluss auf europäische Vorhaben am Ende schwinden könnte. Außerdem verhinderten die Briten über viele Jahre hinweg eine Zusammenarbeit der EU in Sachen Verteidigungspolitik. Das ist inzwischen anders. Erst in dieser Woche signalisierten Regierungsvertreter in London, man werde angesichts der anstehenden Brexit-Verhandlungen den EU-Partnern keine Steine mehr in den Weg legen. Deshalb wollen die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfeltreffen in gut zwei Wochen in Brüssel die neue Zusammenarbeit beschließen, der Kommissions-Fonds soll dabei gleich mitentschieden werden.

Die Bereitschaft dazu steigt, nachdem in den zurückliegenden Wochen Bedenken ausgeräumt werden konnten. Denn was die Union plant, wird keine "zweite Nato ", wie Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU ) in Brüssel betonte. Und "Doppelstrukturen" werde man auch vermeiden. Derzeit geben die EU-Staaten (alle 28 zusammengerechnet) rund 200 Milliarden Euro im Jahr für ihre Verteidigung aus - der Betrag ist seit zehn Jahren konstant. Im gleichen Zeitraum hat beispielsweise China sein Verteidigungsbudget um 150 Prozent erhöht, die USA investierten 2015 mehr als doppelt so viel wie die ganze EU in ihren Militär-Apparat. An eine EU-Armee denke man dabei aber nicht, hieß es immer wieder in Brüssel . Und auch gestern wurden vor allem Forschungsthemen und Einsparmöglichkeiten durch gemeinsame Bestellungen als Ziel genannt.

Das erste Projekt haben die Verteidigungsminister der Union auch schon ins Auge gefasst: 2017 soll ein gemeinsames Kommandozentrum entstehen. Nicht mal das hatten die EU-Länder bisher.

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