Plan für Abschied vom Kohlestrom

Berlin · Die Pläne für ein Ende der Stromerzeugung aus Kohle in Deutschland werden konkreter. Fachleute machen in einem Elf-Punkte-Plan Vorschläge, wie ein Komplettausstieg bis 2040 gelingen kann.

Der komplette Ausstieg aus dem Kohlestrom in Deutschland sollte nach einem Vorschlag von Energieexperten bis zum Jahr 2040 schrittweise erfolgen - ähnlich wie bei der Atomenergie. In einem gestern vorgelegten Gutachten schlägt die Berliner Energiewende-Initiative Agora vor, die ersten ältesten Kraftwerke ab 2018 abzuschalten und auch Kohle-Restlaufzeiten festzulegen.

So würde dafür gesorgt, dass jüngere Kohlekraftwerke noch bis zum Jahr 2040 betrieben werden könnten. Gemäß dem Elf-Punkte-Plan sollte der Bund bis 2040 insgesamt mehr als sechs Milliarden Euro an Strukturhilfen für die von einem Komplettausstieg betroffenen Braunkohlereviere beisteuern.

Unumgänglich ist es laut Agora, dass künftig keine neuen Braunkohletagebaue mehr erschlossen werden. Der Plan für einen geordneten Rückzug aus der klimaschädlichen Verstromung von Braun- und Steinkohle bis zum Jahr 2040 enthält auch Vorschläge für einen sozialverträglichen Abbau von Arbeitsplätzen. "Wir schlagen der Bundesregierung vor, zeitnah einen ,Runden Tisch Nationaler Kohlekonsens‘ einzuberufen", sagte Agora-Direktor Patrick Graichen. Die klimabelastende Kohleverstromung hatte 2015 laut Agora noch einen Anteil von etwa 42 Prozent an der deutschen Stromerzeugung.

In der Bundesregierung wurden die Vorschläge unterschiedlich aufgenommen. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD ) will bis zum Sommer einen langfristigen Klimaschutzplan vorlegen. Es soll zeigen, wie ein klimafreundliches Deutschland bis 2050 aussehen kann. Eine Ministeriumssprecherin sprach von einer hilfreichen Studie. Sie verwies unter anderem darauf, dass der Agora-Vorschlag wirksame Elemente enthalte, wie der erforderliche Strukturwandel planbar gestaltet werden könne und der Industriestandort nicht gefährdet werde. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD ) nahm den "Debattenbeitrag" nach Aussage einer Sprecherin "zur Kenntnis". Ein gleichzeitiger Ausstieg aus Atom- und Kohlestrom sei für den Industriestandort Deutschland aber nicht sinnvoll.

Damit die Bundesrepublik einerseits ihre Klimaschutzziele einhalten kann und andererseits Sicherheit und Bezahlbarkeit der Versorgung erhalten bleiben, schlägt Agora vor, die Kohlekraftwerke in Schritten von zunächst maximal drei Gigawatt Leistung pro Jahr - das entspräche drei bis vier großen Kraftwerken - stillzulegen und damit 2018 zu beginnen. Es müsse hierzu ein verbindlicher Abschaltplan auf Basis von Restlaufzeiten festgelegt werden. Analog zum Atomausstieg sollten die jeweils ältesten Kraftwerke nach Erreichen einer bestimmten Altersgrenze zuerst abgeschaltet werden, wobei diese Altersgrenze im Laufe der Jahre gesenkt würde.

Um die Belastungen der Braunkohleregionen abzufedern, gehören laut Agora zu einem Kohlekonsens auch strukturpolitische Maßnahmen über den gesamten Zeitraum bis 2040. Die Braunkohlereviere sollten mit 250 Millionen Euro pro Jahr gefördert werden. Zusätzliche Hilfen sollten aus dem Bundeshaushalt kommen.

Aus Sicht von Agora muss zudem ein Fonds eingerichtet werden, der die Folgelasten der Rekultivierung der Braunkohletagebaue nach dem Ende der Braunkohleförderung übernimmt. Anstelle der bisherigen Rückstellungspraxis der Tagebaubetreiber sollte künftig eine Abgabe von etwa 2,50 Euro pro Megawattstunde Braunkohlestrom in diesen Fonds eingezahlt werden.

Meinung:

Kohle-Ausstieg muss man wollen

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff

Das Ende der Kohleverstromung ist bis 2040 möglich - und das, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden, die Strompreise drastisch zu erhöhen und in den Braunkohlerevieren die Lichter ausgehen zu lassen. Das zeigt der Plan des Berliner Instituts "Agora Energiewende". Das Vorbild dafür ist der Atomausstieg : schrittweises Vorgehen, Planungssicherheit, Übertragung von Laufzeiten, Ausgleichsgelder. Und vor allem: eine Vereinbarung im Konsens.

Deutschland hat sich in Elmau beim G7-Treffen und in Paris beim Klimagipfel für eine "Dekarbonisierung" des Wirtschaftens eingesetzt. Wenn es aber um die Umsetzung im eigenen Land geht, zögert man. So werden die deutschen Klimaziele verfehlt. Und den betroffenen Regionen hilft es nicht, wenn die Entscheidung und damit auch der Strukturwandel hinausgeschoben wird. Der Plan für eine geordnete Beendigung dieser Energieform liegt nun wie eine Aufforderung zum Handeln auf dem Tisch. Er ist in den Köpfen und verschwindet daraus so leicht nicht wieder. Kohleausstieg geht - wenn man will.

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