Pfeile in die Unendlichkeit

Charles Lloyd (76) ist einer der größten Saxofonisten der Welt – und eine der interessantesten Persönlichkeiten des Jazz'. Seine Frau Dorothy Darr hat einen Dokumentarfilm über Lloyd gedreht, der nun auf DVD erschienen ist.

 Charles Lloyds Biografie hat viele Brüche. Foto: Dorothy Darr

Charles Lloyds Biografie hat viele Brüche. Foto: Dorothy Darr

Foto: Dorothy Darr

Das hatte es bis dato nicht gegeben: Ein akustisch besetztes Jazzquartett spielte an den bedeutenden Orten der Flower-Power-Jahre inmitten von Bands wie Jimi Hendrix ' Experience, Frank Zappas Mothers of Invention oder Grateful Dead vor Tausenden Leuten und wurde gefeiert. Der Konzertmitschnitt des Charles Lloyd Quartets vom Monterey Festival 1966, "Forest Flower", verkaufte sich schließlich über eine Million mal. Ein Riesenerfolg. Doch 1969 löste sich die Band mit Keith Jarrett , Cecil McBee und Jack DeJohnette schon wieder auf.

Charles Lloyds fünfeinhalb Jahrzehnte umspannende Biografie als Musiker und suchendes Individuum ist an Konsequenz schwer zu überbieten. Ein wundervoller, gut zweistündiger Film, den seine Frau Dorothy Darr gemeinsam mit Jeffery Morse drehte, macht die Faszination der Persönlichkeit deutlich, verbindet Konzertmitschnitte mit Aussagen von Zeitzeugen und Lloyd selbst. Gefühlvoll wird den Entwicklungsetappen gefolgt, sodass man schließlich zu verstehen meint, was das Einmalige dieser innigen Musik ausmacht, von der Lloyd sagt: "Wenn ich es aussprechen könnte, müsste ich es nicht spielen."

1938 wurde er in Memphis, Tennessee, abstammend von indianischen, äthiopischen und irischen Vorfahren, in nicht eben begüterte Verhältnisse geboren. Mit neun Jahren hörte er Charlie Parker , mit Bluesgrößen wie Howlin' Wolf und B. B. King stand er auf der Bühne. 1960 zog er nach New York, spielte in den Bands von Schlagzeuger Chico Hamilton und Saxofonist Cannonball Adderley und fiel auf. Es folgte "Forest Flower" und das junge Rockpublikum war von dem großen schlanken Mann ebenso fasziniert wie die Jazzgemeinde. Hier schien einer in Visionen von größerem Zuschnitt zu denken. Zwischen Introvertiertheit und Eruption, Avantgarde und Klangimpressionismus, ohne vordergründige Effekte und mit einem Gespür für die Zeichen der Zeit schoss einer seine Pfeile in Richtung Unendlichkeit.

Der Erfolg war unglaublich - und auch die Konsequenz, die Charles Lloyd daraus zog. Er verließ die Szene in Richtung Einsamkeit, kaufte eine Farm an der kalifornischen Westküste, lebte in einer Höhle, arbeitete an sich selbst und meditierte. Die Jazzszene hatte ihn verloren. Er verfeinerte seinen Ton im Spiel in der Natur. Bald nach einer ersten Begegnung 1968 folgte ihm Dorothy Darr ins Refugium: "Sie war bei mir, als ich es nicht war."

Bis 15 Jahre später der an der Glasknochenkrankheit leidende kleinwüchsige Pianist Michel Petrucciani kam. Er überzeugte Lloyd, auf die Bühnen zurückzukehren. Im Film ist das geradezu ikonografische Bild zu sehen: Der Große trägt den Kleinen nach einem Konzert. Diese Emotionalität durchzieht den Film, auch die spätere Begegnung mit dem Schlagzeuger Billy Higgins, der Lloyd nach einer schweren gesundheitlichen Krise nicht einfach nur zum Weitermachen überredete, sondern ihm den fortgesetzten Dienst an der Musik abverlangte. Gefördert von Manfred Eicher und dem ECM-Label wächst seit Ende der 80er das Werk Charles Lloyds wie in Jahresringen. Beginnend mit einem skandinavischen Quartett um Pianist Bobo Stenson bis zum aktuellen mit Jason Moran : eine Platte schöner als die andere.

"Charles Lloyd: Arrows into Infinity” (130 Min.), erschienen bei ECM/Universal.

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