Peking in Angst

Es gibt da dieses Bild, aus großer Entfernung aufgenommen, unscharf deshalb. Ein Mann steht mit dem Rücken zur Kamera, schwarze Hose, weißes Hemd.

Er trägt zwei Plastiktüten, als käme er vom Einkaufen, eine alltägliche Tat. Doch vor ihm fahren vier Panzer auf. Allein stellt er sich ihnen in den Weg. "Tankman" hat der Fotograf seine Aufnahme betitelt. Ein Panzermann auf der Straße des Ewigen Friedens in Peking.

Das Foto gehört zu den ikonischen Bildern des 20. Jahrhunderts. Es ging um die Welt - nach der brutalen Niederschlagung der wochenlangen Proteste chinesischer Studenten, Arbeiter, selbst Funktionäre am Platz des Himmlischen Friedens. Es ist ein Bild, das kaum ein Chinese kennt, weil er es nicht kennen darf. Auch 25 Jahre nach der Blutnacht vom 4. Juni 1989.

Die Deutungshoheit der Ereignisse vor einem Vierteljahrhundert gibt Chinas Kommunistische Partei nicht aus ihren Händen. Sie definiert, was akzeptabel ist. Das Wort "trauern" in sozialen Netzwerken? Nicht akzeptabel. Private Gedenkfeiern für die damals Getöteten? Nicht akzeptabel. Treffen von Journalisten mit Augenzeugen? Ebenfalls nicht akzeptabel. Vor allem Informationen im Internet zu dem "Zwischenfall", wie das Massaker in China beschönigend heißt, sind in den Augen der KP gefährlich. Also lässt sie kontrollieren, zensieren und, wo sie das nicht kann, so viele Sperren einrichten, dass am Ende nur noch der Satz steht: "Diese Seite kann nicht angezeigt werden." Seit Tagen funktionieren in China die Google-Dienste nicht mehr. Die Partei ist von panischer Angst getrieben, die Suchmaschine könnte das Wort "Tiananmen" ausspucken und - schlimmer noch - das Massaker in all seiner Grausamkeit ausbreiten. Selbst der Umweg über so genannte Tunneldienste, die die "chinesische Brandmauer" sicher umkurven, ist in den Tagen des großen Tabus unzuverlässig. Der Rechner stürzt ab .

Die Logik der Partei ist so perfide wie ihr Handeln: Worüber nicht geredet wird, das hat es auch nicht gegeben. Deshalb sehen sich die Funktionäre im Recht, wenn sie Autoren unter Hausarrest stellen, wenn sie Aktivisten wegsperren und Hinterbliebenen den Mund verbieten. Ja, China hat mittlerweile so etwas wie eine pluralistische Gesellschaft. Allerdings ist nur so viel Pluralismus möglich, wie die Parteigenossen für richtig halten. Wer sich den Bestimmungen nicht fügt, der fällt heraus aus dieser Art von Vielfalt.

Wo ist das Selbstbewusstsein, das erstarkte China, von dem die Regierung immer wieder spricht? Mit dem Wegsperren von Kritikern, der Einschüchterung des Volkes und dem Blockieren von Internetseiten zeigt die Partei wieder ihre Schwäche. Denn die vermeintliche Minderheit, der die Führung doch jede Kraft abspricht, bedroht die Partei in ihren Grundfesten - der Allmacht.

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