Pokémon Go Der Milliarden-Hype

San Francisco/Saarbrücken · Vor einem Jahr machte „Pokémon Go“ alle verrückt. Wie ging’s weiter? Und was kommt jetzt?

 Juli 2016: Monsterjäger auf dem Schlossplatz von St. Wendel.

Juli 2016: Monsterjäger auf dem Schlossplatz von St. Wendel.

Foto: Bonenberger & Klos/B&K

Wie in einem wildgewordenen Hühnerhaufen geht es zu an diesem Juli-Tag im Merziger Stadtpark. Aufgeregt rennen Jugendliche umher, johlen, freuen sich, stets den Blick auf ihr Smartphone gerichtet. Dutzende junge Leute haben sich versammelt, um zusammen zu spielen, um gemeinsam auf Monster-Jagd zu gehen. Ein Jahr ist das jetzt her. Ein Jahr ist vergangen, seit „Pokémon Go“ zu einem weltweiten Phänomen wurde. Denn Trauben von Menschen, die auf ihr Handy starren, füllten auch den Central Park von New York oder das Marsfeld in Paris.

In den ersten zwei Monaten knackte „Pokémon Go“ die Marke von einer halben Milliarde Downloads – ein beispielloses Tempo. Und dann? Dann passierte das Gleiche wie bei den allermeisten Online-Spielen: Der Hype ließ nach. Von September bis Ende Februar 2017 wurde „Pokémon Go“ deutlich weniger heruntergeladen, „nur“ noch 150 Millionen Mal. War es das mit der „Welle oberflächlicher Begeisterung“, wie der Duden einen Hype definiert?

Auf den ersten Blick schon. Zumindest aus der deutschen Öffentlichkeit sind die Monster-Jäger weitgehend verschwunden. Aber die weltweit weiter aktiven Spieler – nach Schätzungen fünf Millionen täglich und 65 Millionen mindestens einmal im Monat – lassen beim Entwickler Niantic Labs die Kassen klingeln, wenn sie Zusatzartikel wie mehr Speicherplatz oder Brutmaschinen für Pokémon-Eier kaufen. Bei den Downloads ist die App im deutschen Apple-Store nur auf Platz 115 – beim Umsatz jedoch unter den besten Fünf. Analysten beziffern die bisherigen Erlöse auf über eine Milliarde Dollar.

Niantic brachte der Geldregen Spielraum für neue Projekte und Investitionen, der den meisten im knallharten Geschäft mit Online-Spielen versagt bleibt. „Wir müssen jetzt nicht unbedingt etwas machen, was sich sofort rechnen muss“, sagt Niantic-Chef John Hanke. Dem „wunderbaren Wahnsinn“ der ersten Monate trauert er nicht nach. Die damalige „Pokémon-Manie“ sei einem „gesunden Wachstum“ gewichen. Zudem sei für Niantic die Zahl aktiver Nutzer wichtiger als Downloads. 

Niantic setzt also vor allem auf treue Fans. Und die hat das Spiel auch im Saarland. Wie David Majid. Schon vor dem offiziellen Start im Juli 2016 hatte er sich die App im Internet besorgt, das Spiel habe ihn in seine Kindheit zurückversetzt. Aber was macht es heute noch interessant? Der 27-jährige Ingenieur aus Saarbrücken erzählt von ständig neuen Updates und Events – und netten Menschen. „Man trifft immer neue Leute“, zeigt sich Majid begeistert: „Es sind schon echte Freundschaften entstanden. Wir spielen nicht nur zusammen, sondern gehen auch schon mal gemeinsam feiern.“

Auch für Alexander Sokoll aus Ottweiler sind die Menschen, die er trifft, eine Motivation, um am Ball zu bleiben. „Es ist nicht mehr so wie früher, da haben wir uns oft im Rosengarten in Ottweiler oder in den Wassergärten in Reden getroffen“, berichtet der 21-Jährige. Ein harter Kern von 20 Spielern verabrede sich aber weiterhin regelmäßig. „Wenn die Gemeinschaft so bleibt“, ist sich Sokoll sicher, „dann spiele ich auch noch in ein oder zwei Jahren.“

Bei „Pokémon Go“ gehe es letztlich um ein sozialeres Spiel-Erlebnis, erklärt Macher Hanke. Menschen versammelten sich in öffentlichen Räumen, Städte würden so lebendiger, Spieler bewegten sich mehr im Freien. „Wir wollen, dass Politiker auch daran denken, wenn sie sich darüber sorgen, dass sich in einem Park mal mehr Müll ansammelt oder es Verkehrsprobleme gibt“, sagte Hanke, nachdem er sich im Herbst einer Anhörung im US-Kongress stellen musste. Denn der Hype war zwischenzeitlich alles andere als ungefährlich, es gab viele Unfälle. In der Türkei sprang ein Junge aus dem siebten Stock, weil er wie ein Pokémon-Monster fliegen wollte. Wie durch ein Wunder überlebte er. In Japan aber starb ein Neunjähriger. Er wurde von einem LKW überfahren, dessen Fahrer „Pokémon Go“ spielte.

 So sieht das Kult-Spiel auf einem Smartphone aus.

So sieht das Kult-Spiel auf einem Smartphone aus.

Foto: picture alliance / dpa/Susann Prautsch

Doch auch solche tragischen Fälle änderten nichts daran, dass „Pokémon Go“ das erste erfolgreiche Spiel mit der „erweiterten Realität“ (Augmented Reality) wurde. In der Zukunft werde man sie mit Hilfe spezieller Brillen nutzen, davon ist Hanke überzeugt. Dass Menschen auf Smartphones starrend durch die Gegend laufen, sei „keine vernünftige Art, das Internet unterwegs zu nutzen“. Mit den Brillen könne man sich alle möglichen Informationen einblenden lassen, ohne die Augen von der Umgebung zu nehmen. Gerade für Spieler sei das ein Traum. „Pokémon Go“ werde deshalb auch in zehn Jahren noch da sein, glaubt Hanke. Wer’s glaubt.

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