Politische Statements Wie Firmen mit Haltungsbotschaften werben

Berlin · Ein Hersteller von Rasierklingen wirbt für ein neues Männerbild, eine Frau mit Kopftuch für Fruchtgummi. Immer häufiger verbinden Unternehmen Reklame mit gesellschaftlichen und politischen Statements.

 Eine Frau mit Kopftuch wirbt für den Süßwaren-Hersteller Katjes. Das Plakat sorgte für einen Shitstorm in den sozialen Medien. Doch zugleich brachte es das Unternehmen und die Marke ins Gespräch.

Eine Frau mit Kopftuch wirbt für den Süßwaren-Hersteller Katjes. Das Plakat sorgte für einen Shitstorm in den sozialen Medien. Doch zugleich brachte es das Unternehmen und die Marke ins Gespräch.

Foto: picture alliance / Paul Zinken/dpa Picture-Alliance / Paul Zinken

Glatte Haut war gestern – der Rasierklingenhersteller Gillette will aus seinen Kunden bessere Männer machen. Aus übergriffigen Bossen, mobbenden Jungs und Machos am Grill sollen gefestigte Persönlichkeiten im Geist von #Metoo werden. So jedenfalls lässt sich die Botschaft eines neuen Werbeclips verstehen, der inzwischen Millionen Mal auf YouTube und anderswo geklickt wurde. „Ist das das Beste, was Männer sein können?“, heißt es in dem zwei Minuten langen Film auf Englisch für die internationalen Märkte. Seinen einst stolzen Anspruch („Das Beste im Mann“) hat der Klingenfabrikant zur Haltungsfrage umgedeutet.

Haltung in der Werbung liegt im Trend. Ob neue Frauen- und Männerbilder, Klimawandel oder Integration – wer mit gesellschaftlichen und politischen Statements wirbt, kann sich der Aufmerksamkeit sicher sein.

Smartphones und soziale Medien hätten zu einer enormen Beschleunigung der Kommunikation beigetragen, sagt der Werbefachmann André Karkalis. Selbst Unternehmen mit Milliardenumsätzen und riesigen Werbebudgets hätten Schwierigkeiten, sich im Stimmenwirrwarr Gehör zu verschaffen. „Wir haben gelernt, Werbung auszublenden“, sagt Karkalis, der eine PR-und Kommunikationsagentur betreibt. Firmen versuchten, sich deswegen in gesellschaftliche Debatten einzuklinken.

Wenn im Namen von Katjes eine Frau mit Kopftuch für veganes Fruchtgummi (ohne Schweinefleisch-Gelatine) wirbt, steigt sofort die Erregungskurve in den sozialen Medien. Dass sich das Unternehmen mit seiner Botschaft damit vor allem an Muslime richtet, immerhin etwa sechs Prozent der Bevölkerung in Deutschland, birgt Konfliktstoff in sich. Mit dem Spot wolle Katjes junge Muslimas ansprechen, für die der Verzicht auf tierische Gelatine eine bedeutende Rolle spiele, sagt die Firma.

Hohe Wellen schlug in den USA die Kampagne von Nike („Just do it“) mit dem Football-Spieler Colin Kaepernick. Der ehemalige Quarterback aus San Francisco hatte eine Krise in der patriotisch gestimmten NFL-Welt ausgelöst. Bei einem Spiel seiner Mannschaft hatte sich Kaepernick nicht zur Nationalhymne erhoben. Er wolle sich nicht zu einer Flagge bekennen, in deren Namen schwarze Menschen unterdrückt werden. Kurz zuvor hatte die Polizei drei Schwarze erschossen. Kaepernick flog aus der Liga und hat bisher kein Team gefunden. Nikes Aktie fiel zwar zunächst in den Keller. Doch wer nun die Sneakers am Fuß hatte, zeigte, auf wessen Seite er oder sie stand.

Dass Haltungsbotschaften auch daneben gehen können, musste der Kosmetikhersteller Dove schmerzlich erfahren. Der Seifen- und Duschgel-Fabrikant hatte zwar früh in seinen Spots das gängige Bild dünner Models in Frage gestellt und auch rundliche Frauen Reklame machen lassen. Doch in einem späteren Spot blendete die Firma Frauen verschiedener Hautfarben hintereinander ein, die in schneller Abfolge ihre T-Shirts wechselten. Bei vielen Betrachtern entstand der Eindruck, mit der richtigen Seife werde dunkle zur reinen, weißen Haut. Nach Rassismus-Vorwürfen entschuldigte sich das Unternehmen.

„Virtue signaling“ nennt sich in den USA diese Art, mit direkter Ansprache Tugenden anzumahnen und damit Aufmerksamkeit zu erregen. Mobbing, die #MeToo-Bewegung, sexuelle Belästigung, toxische Männlichkeit – „ist das das Beste am Mann?“, heißt es auch zu Beginn des Gillette-Spots. Viele Männer, verkündet das Unternehmen in einem eigens geschaffenen Webauftritt, „seien auf dem Scheideweg zwischen der Vergangenheit und einer neuen Ära der Männlichkeit“.

Anders als bei Nike, wo der „gefallene Held“ Kaepernick zur positiven Identifikationsfigur erhoben wurde, fordert Gillette seinen Kunden auf, sich selbst zu hinterfragen. „Kommunikation mit erhobenem Zeigefinger“ nennt das Karkalis: „Möchte ich mir von einem Rasierer sagen lassen, dass ich mein Männerbild überdenken muss?“ Karkalis spricht mit Blick auf die internationale Kampagne von einer „kalkulierten Plumpheit“, die eben Aufmerksamkeit erzeugen solle.

(dpa)
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