Mörder statt Helfer

Oldenburg · Wie viele Patienten hat Ex-Krankenpfleger Niels H. wirklich auf dem Gewissen? Wegen Mordes an sechs Patienten wurde er überführt. Nur die Spitze des Eisbergs? Nun ermittelt die Polizei in dutzenden anderen Fällen.

 Der Krankenpfleger Niels H. bei einem Gerichtstermin im vergangenen Jahr. Foto: dpa

Der Krankenpfleger Niels H. bei einem Gerichtstermin im vergangenen Jahr. Foto: dpa

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Mehr als ein Jahrzehnt ist der Vater, die Mutter, der Ehepartner schon tot. Doch für viele Angehörige von Patienten , die an den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst starben, nimmt das Leid kein Ende. Seit Jahren plagt sie die Ungewissheit: War es ein natürlicher Tod oder war es Mord ? Ermittler sind an den beiden Kliniken einer der wohl größten Krankenhaus-Mordserien in Deutschland auf der Spur. Im Verdacht steht der Ex-Pfleger Niels H. Wegen sechs Taten ist er bereits überführt und verurteilt. Doch diese Fälle sind offensichtlich nur die Spitze des Eisberges.

Der Verdacht: Die Ermittler gehen davon aus, dass Niels H. mindestens 27 Patienten am Klinikum Delmenhorst mit einer Überdosis eines Herzmedikaments getötet hat - zusätzlich zu den sechs gerichtlich schon geklärten Taten. Bei 27 Leichen fanden Toxikologen Rückstände der Substanz. Die Ermittler sehen es inzwischen auch als erwiesen an, dass Niels H. zuvor am Klinikum Oldenburg ebenfalls Patienten getötet hat. Bei Vernehmungen hat er die Vorwürfe eingeräumt.

Die Ermittlungen: Seit Herbst 2014 untersucht eine Sonderkommission der Polizei den Tod von allen Patienten während der Dienstzeit von Niels H. in Delmenhorst, Oldenburg und an anderen früheren Arbeitsstellen. 99 Leichen haben sie bisher ausgraben und untersuchen lassen. Während die Ermittlungen am Klinikum Delmenhorst so gut wie abgeschlossen sind, stehen die in Oldenburg erst am Anfang. "Das Grauen hört nicht auf", sagt der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme dazu gestern auf einer Pressekonferenz.

Der Täter: Das große Vorbild von Niels H. war sein Vater, der ebenfalls Krankenpfleger und sehr beliebt war. Genauso wollte der Sohn werden, wie er im Prozess berichtete. Er arbeitete viel. Frühere Kollegen beschrieben ihn als hilfsbereit und zupackend. Doch es gab auch Gerede über ihn: Er spielte sich bei Wiederbelebungen gerne in den Vordergrund, während seiner Schichten starben auffällig viele Patienten . Handfeste Hinweise, dass Niels H. mordete, gab es nach Ansicht der Soko an beiden Kliniken. Konsequenzen hatte das nicht. Gegen acht Mitarbeiter laufen Ermittlungen wegen Totschlags durch Unterlassen.

Das Motiv: Niels H. spielte mit dem Leben von Patienten , weil es ihm einen Kick gab. Er spritzte ihnen eine Überdosis eines Medikaments, um sie wiederbeleben zu können - und um Anerkennung von seinen Kollegen zu bekommen. Das Hochgefühl nach einer Reanimation habe danach tagelang angedauert, sagte Niels H. vor Gericht.

Die Opfer: Ihre genaue Zahl werden die Ermittler wohl nicht mehr aufdecken können. "Es wird ein großes Dunkelfeld geben", sagt Soko-Leiter Arne Schmidt. Viele Patienten wurden nach ihrem Tod eingeäschert, ein Nachweis der todbringenden Substanz ist damit nicht mehr möglich. Fakt ist: Auf der Delmenhorster Intensivstation verdoppelte sich die Zahl der Sterbefälle in den beiden Jahren, in denen Niels H. dort arbeitete.

Die Folgen: Dass Niels H. wieder vor Gericht stehen wird, ist jetzt schon sicher - allerdings erst, wenn die Ermittlungen komplett abgeschlossen sind. "Es wird eine neue Anklage für alle weiteren Taten geben", kündigte Oberstaatsanwältin Daniela Schiereck-Bohlmann an. Am Strafmaß wird das jedoch nichts ändern: Der Ex-Pfleger sitzt wegen Mordes schon eine lebenslange Haftstrafe ab.

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