Fettleibigkeit Lateinamerika hat ein dickes Problem

Santiago de Chile · Mexiko und die Bahamas sind traurige Spitzenreiter beim Übergewicht. In Chile setzt man nun auf drastische Maßnahmen.

 Hispanos mit reichlich Hüftgold: Fettleibigkeit ruft in den Ländern Lateinamerikas die Politik auf den Plan.

Hispanos mit reichlich Hüftgold: Fettleibigkeit ruft in den Ländern Lateinamerikas die Politik auf den Plan.

Foto: picture-alliance / dpa/dpa Picture-Alliance / Jorge Rios Ponce

Wer in Chile durch den Supermarkt geht, sieht im wahrsten Sinne des Wortes schwarz. Sie sind achteckig und nur schwer zu übersehen: Die schwarzen Warnsymbole auf ungesunden Lebensmitteln. Sie prangen auf der Vorderseite etlicher Verpackungen und warnen vor hohen Mengen an Zucker, Salz, Kalorien oder gesättigten Fettsäuren.

„Mir machen die Symbole ein schlechtes Gewissen“, sagt Camila Gajardo. Wenn sie einkaufen geht, sucht die 24-Jährige nach den Produkten ohne Label, wie sie sagt. Doch nicht alle Chilenen lassen sich von der neuen Gesundheitskampagne beeindrucken. „Mir sind die Warnzeichen völlig egal“, sagt Miguel Toledo. Der 31-jährige Mann aus Santiago macht aus seinem Übergewicht keinen Hehl. Er war schon als kleiner Junge dick, genau wie seine Eltern und Geschwister.

In Lateinamerika und der Karibik sind knapp 60 Prozent der Bevölkerung übergewichtig. Wirtschaftswachstum, Urbanisierung und höhere Einkommen sind Gründe dafür. Spitzenreiter sind die Bahamas (69 Prozent), Mexiko (64 Prozent) und Chile (63 Prozent), wie ein Bericht der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation belegt. 44,5 Prozent aller Kinder in Chile sind laut OECD übergewichtig. Damit übertrifft das südamerikanische Land selbst den langjährigen Spitzenreiter USA (39,9 Prozent). In Mexiko sind es 35 Prozent.

Übergewicht erhöht das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Im Kindesalter kann Adipositas neben körperlichen auch psychosoziale Schäden verursachen. Fettleibigkeit ist auch ein Kostenfaktor. Das mexikanische Gesundheitsministerium schätzt die 2017 entstandenen Kosten durch Folgeerkrankungen auf umgerechnet 10,4 Milliarden Euro. 

In Chile zog das Gesundheitsministerium im Juni 2016 die Notbremse und veranlasste weitreichende Reformen. Die Warnsymbole auf ungesunden Lebensmitteln sind nur ein Resultat. Sie wirken wie Stoppzeichen, ganz besonders auf Kinder, erklärt Ex-Gesundheitsministerin Carmen Castillo. Sie hatte unter der Präsidentin Michelle Bachelet erheblich an der Durchsetzung mitgewirkt.

Neben der Kennzeichnung wurden Werbe- und Verkaufsverbote erlassen. Die markierten Produkte dürfen nicht mehr auf Schulhöfen verkauft werden. Tagsüber ist Werbung für diese Lebensmittel verboten. Außerdem dürfen Verpackungen und Werbung nicht mehr auf Kinder unter 14 Jahren abzielen. Konzerne wie Kellogg’s mussten Zeichentrickfiguren von ihren Müsli-Schachteln entfernen, das Kinder-Überraschungsei wurde komplett verbannt. Auch McDonald’s musste sein berühmtes Happy Meal in Chile anpassen. Viele Unternehmen und Lebensmittelverbände kritisierten die Maßnahmen, Ferrero zog sogar vor Gericht – allerdings ohne Erfolg.

Mexiko ist von solchen Schritten weit entfernt. Obwohl das Gesundheitsministerium Übergewicht und Diabetes 2016 zum epidemiologischen Notfall erklärte. Jedes zweite mexikanische Kind läuft Gefahr, Diabetes zu entwickeln. Trotzdem sammeln sich die Verkaufsstände mit den bunten Verpackungen am liebsten direkt vor den Schultoren. 

Laut der mexikanischen Nichtregierungsorganisation „El Poder del Consumidor“ („Die Macht des Verbrauchers“) fehlt es an verpflichtenden Maßnahmen, besonders beim Schulessen. Dort gebe es gut gemeinte Richtlinien, die in der Praxis aber nur unzureichend umgesetzt würden.

Als in Mexiko 2016 eine zehnprozentige Steuer auf zuckerhaltige Getränke veranschlagt wurde, sank der Konsum um 6,3 Prozent. In Deutschland will man von solch einer Zuckersteuer nichts wissen – und das obwohl laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts von Anfang dieses Jahres 13,7 Prozent der Mädchen und 17,6 Prozent der Jungen ein- bis dreimal am Tag zu Softdrinks greifen. Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) setzt lieber auf Freiwilligkeit.

Statt einer Zuckersteuer präsentierte Klöckner Mitte Oktober eine Grundsatzvereinbarung mit Wirtschaftsverbänden. Darin verpflichtet sich die Ernährungsindustrie, ab 2019 den Gehalt an Zucker, Fetten und Salz in Fertiggerichten zu reduzieren.

In Chile haben die neuen Gesetze bereits Wirkung gezeigt. Schon vor Inkrafttreten des Gesetzes hätten 20 Prozent der Hersteller die Menge an Salz, Zucker, Fett und Kalorien reduziert, erklärt Ex-Gesundheitsministerin Castillo. Abgenommen haben die Chilenen allerdings noch nicht. „Es ist sehr schwierig, gesunde Gewohnheiten zu implementieren“, sagt Castillo. 

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