Tierschützer gegen Züchter Der Kampf um die Taube

Stuttgart/Essen · Die Züchter von Brieftauben streben die Anerkennung als nationales Kulturerbe an. Tierschützer wollen das unbedingt verhindern.

 Ein Züchter hält eine Brieftaube in der Hand. Anfang Dezember fällt die Entscheidung, ob das Brieftaubenwesen als immaterielles Kulturerbe eingetragen wird.

Ein Züchter hält eine Brieftaube in der Hand. Anfang Dezember fällt die Entscheidung, ob das Brieftaubenwesen als immaterielles Kulturerbe eingetragen wird.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

 Um Tauben tobt derzeit ein erbitterter Kampf in Deutschland. Im Fokus steht die Frage, wie schützenswert das traditionsreiche Hobby der Züchter von Brieftauben ist. Hat es den gleichen Wert wie das historische Dokumentarspiel „Landshuter Hochzeit“, die Spergauer Lichtmeß in Sachsen-Anhalt oder die Amateurmusikpflege in Baden-Württemberg? Auf keinen Fall, warnen Tierschützer. Schließlich würden für Wettkämpfe unzählige Tauben ausgebeutet, verletzt, getötet. Mit schutzwürdigem Erbe der Menschheit habe das absolut nichts zu tun. Die Anerkennung des Brieftaubenwesens als immaterielles Kulturerbe müsse verhindert werden. Die Entscheidung wird in der ersten Dezember-Woche verkündet.

Der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter strebt schon länger nach dem Status des immateriellen Kulturerbes. Auf der Landesebene in Nordrhein-Westfalen, wo der Sport vor allem im Ruhrgebiet stark verankert ist, hat er das bereits geschafft. Jetzt geht es um einen Eintrag als schützenswerte bundestypische Tradition. Am Ende habe der Brieftaubensport aber weltweite Bedeutung, heißt es in Essen. Größtes Ziel sei eine Anerkennung als Weltkulturerbe – vergleichbar mit der traditionsreichen Falknerei.

Jedes Jahr komme es bei Wettkämpfen zu Verlusten von Hunderttausenden Tieren, warnt hingegen der Tierschutzbund. Bei Preisflügen müssten Brieftauben teilweise mehr als 1000 Kilometer zurücklegen und an ihre Leistungsgrenzen gehen. Auf den Strecken seien die Tauben durch Beutegreifer, Windräder und Strommasten Gefahren ausgesetzt. Viele überlebten nicht. Andere verirrten sich auf ihrem Rückweg zum Schlag und landeten im besten Fall in einem Tierheim. Tierschützer wie Sylvia Müller vom Stuttgarter Verein Straßentaube und Stadtleben reichten beim Kulturerbe-Expertenkomitee Dokumentationen ein, die das Ausmaß des Elends von Brieftauben veranschaulichen sollen.

„Es darf nicht sein, dass solche tierschutzwidrigen Praktiken durch eine Anerkennung als immaterielles Kulturerbe auch noch gefördert werden“, sagt Denise Ade. Die Fachreferentin beim Tierschutzbund weist zudem darauf hin, dass die ins Kulturerbe strebenden Züchter ihre in Tierheimen gestrandeten Vögel meist nicht zurücknähmen. „Für diese haben die Tiere nicht die geforderte Leistung erbracht und damit für Wettbewerbe oder die Zucht keinen Wert mehr.“ Gelangen sie zurück in den Besitz ihrer Halter, würden sie häufig als „nutzlos“ betrachtet und getötet.

Tierschutz spiele im Brieftaubenwesen „eine zentrale Rolle“, entgegnet der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter in Essen. Das Wohl des Tieres stehe im Mittelpunkt. Behauptungen über tierschutzwidrige Zustände seien „schlichtweg haltlos“. Distanzflüge, denen das natürliche Heimfindevermögen der Tiere zugrunde liege, könnten nur erfolgreich sein, wenn den Tieren optimale Bedingungen geboten würden und sie einen Heimatschlag hätten, in dem sie sich wohlfühlten.

Bewerbungsrunden für die Aufnahme in die begehrte Kulturerbe-Liste gibt es alle zwei Jahre. Bundesländer treffen eine Vorauswahl und dürfen bis zu vier Bewerbungen an die Kultusministerkonferenz weiterleiten. Der Vorschlag mit dem Brieftaubenwesen stammt aus Düsseldorf.

Die Vorschlagsliste wird von einem Expertenkomitee bei der Deutschen Unesco-Kommission bewertet. Den letzten Haken setzen dann noch die Kultusministerkonferenz und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Letztlich geht es dabei aber nur noch um die Bestätigung der Auswahlempfehlungen des Expertenkomitees.

Der Deutsche Tierschutzverband führt die Kampagne #RespektTaube, um sich für einen respektvollen Umgang mit den despektierlich als „Ratten der Lüfte“ bezeichneten Vögeln stark zu machen. Das Tierheim in Böblingen bei Stuttgart ist dabei, eins der bundesweit ersten Hospize für geschädigte Tauben einzurichten. Die Voliere soll Platz für rund 80 Vögel bieten, die so schwer verletzt wurden, dass sie nicht mehr freigelassen werden können.

Die Anerkennung als Kulturerbe ist nach Angaben der Deutschen Unesco-Kommission nicht mit einem Geldbetrag verbunden. In erster Linie gehe es darum, sich mit dem Titel zu schmücken, erklärt Sprecherin Katja Römer in Bonn. Bei den allermeisten Anträgen gebe es keine Entrüstung wie jetzt in diesem Fall.

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