„Die Zeichen des Todes“ Der Hüne mit der Sackkarre und andere Tote

Berlin · Der Rechtsmediziner Michael Tsokos hat eine neue Sammlung „Die Zeichen des Todes“ mit zwölf echten Fälle veröffentlicht. Einer davon geriet zuletzt bundesweit in die Schlagzeilen.

 Der Berliner Rechtsmediziner Michael Tsokos beschreibt in seinem neusten Buch „Die Zeichen des Todes“ zwölf seiner Fälle. Trotz der Brutalität der Mörder sei die Gesellschaft daran interessiert.

Der Berliner Rechtsmediziner Michael Tsokos beschreibt in seinem neusten Buch „Die Zeichen des Todes“ zwölf seiner Fälle. Trotz der Brutalität der Mörder sei die Gesellschaft daran interessiert.

Foto: dpa/Jens Kalaene

() Ein Blick in extreme und sadistische Abgründe: Der Berliner Piraten-Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner erdrosselt einen jungen Mann und transportiert ihn samt Koffer und Sackkarre durch die Hauptstadt in seine Wohnung, bevor er sich selbst mit Strom umbringt. Zwei Kampfhunde zerfleischen einen kleinen Jungen in Hamburg, er stirbt qualvoll. Eine Frau wird beim Joggen mit einem Beil erschlagen, eine andere in der Badewanne ertränkt. Der bekannte Berliner Rechtsmediziner Michael Tsokos schildert in seinem neuen Buch „Die Zeichen des Todes“ zwölf Fälle aus seiner Laufbahn.

Ohne Rücksicht auf Schmerzgrenzen breitet der Leiter der Rechtsmedizin der Berliner Charité Details und „Informationen aus erster Hand“ aus. Dabei zitiert er aus medizinischen Protokollen. „Auch wenn es uns sadistisch und krank verkommt, wenn Gewalttäter Lust am Töten und am Todeskampf ihrer Opfer empfinden, schauen wir ihnen als Leser, Fernsehzuschauer oder Kinobesucher gerne dabei zu“, so der Experte. Im Zuge des Trends zu Krimis, die auf Tatsachen beruhen, hatte Tsokos zuletzt an mehreren Thrillern mitgeschrieben.

Einem breiten Publikum wurde Tsokos mit dem anklagenden Buch „Deutschland misshandelt seine Kinder“ bekannt, in dem er und seine Kollegin, die Rechtsmedizinerin Saskia Etzold, das deutsche Kinderschutzsystem hart angriffen. Das Buch schildert nicht nur unfassbare Grausamkeiten, es liest sich wie eine Abrechnung mit dem deutschen Hilfesystem – überforderte Jugendämter, unerfahrene Familienhelfer, ahnungslose Kinderärzte, naive Richter. Es ist ein subjektiver Blick. Kritik mancher Fachkollegen zog Tsokos zudem auf sich, als er vor Jahren die in den Medien viel diskutierte These aufstellte, die Leiche Rosa Luxemburgs liege womöglich im Keller der Charité.

Von sich selbst sagt Tsokos, er sei „in der einen oder anderen Form“ an der Untersuchung und Aufklärung der Kriminalfälle beteiligt gewesen. Sein Spezialwissen habe er in 25 Berufsjahren erworben. Seit 2007 leitet er das Institut für Rechtsmedizin der Charité, der Berliner Universitätsmedizin.

Der jüngste Fall im Buch ist der von Gerwald Claus-Brunner vom September 2016. Er trägt die Überschrift „Auf Kaperfahrt“. Der „übergewichtige Hüne“ habe kurz vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, bei der ihm der Rausschmiss bevorstand, sein zierliches Opfer „buchstäblich zerquetscht“, notiert Tsokos über die Obduktion.

Doch damit nicht genug: Auf dem 29-Jährigen knieend, habe Claus-Brunner den einstigen Mitarbeiter in dessen Wohnung mit bloßen Händen erwürgt oder mit einem Kabel erdrosselt, hat Tsokos ermittelt. Eine genauere Analyse sei nicht möglich gewesen. Die Indizien sprachen laut Tsokos für einen „kaltblütig und minuziös geplanten Mord“. Der Pirat habe den jungen Mann gestalkt. „Wuschelkopf“ habe er ihn genannt.

Mit Latzhose und Palästinensertuch sei Claus-Brunner das Gesicht der Piraten-Partei gewesen. Es sei aber anscheinend kaum jemandem aufgefallen, konstatiert der Mediziner, dass es das Gesicht eines Menschen mit einer erheblich gestörten Persönlichkeit gewesen sei. Tsokos mutmaßt über den Mörder: „Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend hat er offenbar nie verarbeitet.“ Claus-Brunner sei ein Außenseiter gewesen, der sich letztlich nur auf eine Art Respekt habe verschaffen können: durch Drohung, Einschüchterung, Gewalt.

Claus-Brunner habe dann in seiner Wohnung die Leiche seines Opfers drapiert und wohl stundenlang neben ihm gelegen, bevor sich der gelernte Fernmelde-Elektriker an dem Wahlwochenende in einem anderen Zimmer einen tödlichen Stromschlag beibringt. Als die Feuerwehr die Wohnung öffnet, bietet sich ein schauriges Bild. „Überall liegen Abfall, schmutzige Kleidungsstücke und Sexspielzeug herum – Fetischkleidung, Handschellen...“, notiert Tsokos. Da gegen Tote nicht ermittelt wird, wird der Fall geschlossen.

 Den brutalen Mordfall des Piraten-Politikers Gerwald Claus-Brunner schildert Michael Tsokos in seinem neusten Buch.

Den brutalen Mordfall des Piraten-Politikers Gerwald Claus-Brunner schildert Michael Tsokos in seinem neusten Buch.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Der Rechtsmediziner mit dem großen Sendungsbewusstsein macht sich wie in seinen bisherigen Büchern Gedanken über den Zustand der Gesellschaft. Er habe immer häufiger mit Todesfällen von Pflegepatienten, totgeschüttelten Babys oder ermordeten Muslimas zu tun, die gegen einen Familienkodex verstoßen haben, bilanziert er. Wie Menschen sterben, „sagt etwas darüber aus, wie wir leben“. Aber: „Die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland Opfer eines Tötungsdelikts zu werden, ist indessen gering.“

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