Jamie Oliver Der Gerichts-Vollzieher

London · Jamie Oliver bringt den Briten seit 20 Jahren die Kunst des Kochens näher. Für sein neues Buch „Jamie kocht Italien“ hat der Brite die traditionellen Rezepte der italienischen „Nonnas“, der Großmütter, zusammengetragen.

 „Wie können wir das Kochen am Leben halten?“. Besonders diese Frage treibt Jamie Oliver an.

„Wie können wir das Kochen am Leben halten?“. Besonders diese Frage treibt Jamie Oliver an.

Foto: dpa/Axel Heimken

Die riesige, offene Küche ist das erste, was Besucher zu sehen bekommen, wenn sie das hippe „Jamie Oliver Headquarter“ im Londoner Stadtteil Islington betreten. Das geräumige Hauptquartier des britischen Starkochs ist ein lässiges Start-up-Büro mit offenen Sitzgelegenheiten, mehreren Küchen und TV-Studios. Am Herd dampft es schon ein wenig, aber man riecht noch nichts. Vielleicht italienisch?

In seinem neuen Kochbuch „Jamie kocht Italien“ widmet sich der 43-Jährige Spaghetti und Focaccia. Die italienische Küche begleitet Oliver seit den Anfängen seiner Karriere, die im Londoner Restaurant des Einwanderers Antonio Carluccio im schicken Shoppingbezirk Covent Garden begann. Bis zum Tod des Italieners vor einem Jahr waren die Männer sehr gut befreundet. Aus der Zeit im „Carluccio’s“ rührt auch die enge Freundschaft mit seinem einstigen Mentor Gennaro Contaldo.

„Seine Gerichte haben diesen bestimmten Geschmack“, lobt Oliver den väterlichen Freund. „Ich kann dasselbe Rezept kochen, es würde nie so schmecken.“ Mit dem 69 Jahre alten Italiener reiste Oliver in dessen Heimatland, um die traditionellen Rezepte der Mütter und Großmütter zu erkunden, der sogenannten Nonnas, „die nicht mit Mikrowellen, Gas, Elektrizität, Kühlschränken, Eisfächern und Supermärkten aufgewachsen sind“. Eine „gewaltige Lernerfahrung“ sei das gewesen, sagt Oliver.

Diese Frauen, manche an die 90 Jahre alt, hätten „unglaubliches Wissen“. Oliver will es bewahren und weitergeben. Dabei geht es ihm nicht nur um leckere Gerichte, sondern auch um den gesellschaftlichen Mehrwert. „Wenn wir die Zeitung aufschlagen, in Deutschland oder in England, geht die Diskussion um Gesundheit, Ernährung, Lebensmittelsicherheit, Abfall, Umwelt“, sagt er, „das sind große Themen. Und die Nonnas waren die Meisterinnen darin.“

„Sie hatten all die Antworten“, schwärmt Oliver, der sich seit Jahren für bessere Standards in Sachen Ernährung einsetzt. Besonders eine Frage treibt ihn dabei an: „Wie können wir das Kochen am Leben halten?“ Sein Lösungsansatz beginnt schon in der Kindheit. Seit Jahren macht sich der fünffache Familienvater für eine bessere Ernährung an britischen Schulen stark und fordert, dass dort das Kochen gelehrt wird. Dass viele Kinder weder zu Hause noch in der Schule kochen lernen, sieht der TV-Star als wesentliche Ursache für ungesunde Ernährung.

Zu Deutschland hat Oliver eine besondere Beziehung: „Ich liebe die Küche aus Niederbayern und dem Schwarzwald“, sagt er. „Verdammte Knödel, Hackbällchen, Wildpilze und Bier – das ist deftig, aber wundervoll“, schwärmt er. „Und deutsche Nachspeisen gehören zu den besten auf der ganzen Welt.“

Der Unterschied zwischen der deutschen und der britischen Küche sei gar nicht so groß, sagt Oliver. „Die meisten guten, traditionellen deutschen Gerichte, die ich gegessen habe, unterscheiden sich kaum von dem Essen meiner Mutter und meiner Großmutter, mit dem ich aufgewachsen bin.“

Sorgen bereitet Oliver derweil der Brexit. „Ich weiß nicht, wie es werden wird, und das ist das Problem“, sagt er mit Blick auf die Zeit nach Großbritanniens geplantem EU-Austritt am 29. März 2019. Besonders fürchtet Oliver um die guten internationalen Beziehungen in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie. Er sei von Anfang an gegen den Austritt gewesen. „Aber entweder man glaubt an die Demokratie oder nicht“, sagt er.

Fast 20 Jahre ist es her, dass Jamie Oliver vom britischen Sender BBC entdeckt wurde und mit der Sendung „The Naked Chef“ eine erfolgreiche TV-Karriere begann. Dank seiner Kochbücher ist er heute zudem einer der erfolgreichsten Autoren in Großbritannien. „Absolut wahnsinnig“ sei das – als Legastheniker. Einen Nachteil hat der Erfolg allerdings. „Ganz ehrlich, ich glaube, in den letzten 20 Jahren haben nur fünf oder sechs Leute für mich gekocht“, klagt er, „niemand lädt uns zu einem Abendessen ein! Echt schade.“

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