Spektakuläre Rettung Der gefeierte „Spiderman“ von Paris

Paris · Ein Flüchtling aus Mali hat mit einer waghalsigen Kletteraktion einen vierjährigen Jungen gerettet. Nun bekommt der 22-Jährige dafür die französische Staatsbürgerschaft.

 Der neue Held von Frankreich: Der Malier Mamoudou Gassama war sichtlich nervös, als er Präsident Emmanuel Macron (links) gestern im Élysée-Palast erzählte, wie er am Samstag einem Kind das Leben gerettet hat.

Der neue Held von Frankreich: Der Malier Mamoudou Gassama war sichtlich nervös, als er Präsident Emmanuel Macron (links) gestern im Élysée-Palast erzählte, wie er am Samstag einem Kind das Leben gerettet hat.

Foto: dpa/Thibault Camus

Es ist ein modernes Märchen, wie Hollywood es nicht besser schreiben könnte. Die Hauptfigur ist ein Flüchtling aus Mali, der über Nacht in Frankreich zum Volkshelden wurde. Mit fast übermenschlichen Kräften kletterte Mamoudou Gassama die Fassade eines Gebäudes in Paris hoch, um im vierten Stock einen vierjährigen Jungen zu retten, der an einer Balkonbrüstung hing. „Ich habe nicht nachgedacht“, sagte der 22-Jährige, für den mit seiner spektakulären Kletteraktion ein neues Leben begann. Nur rund 36 Stunden nach seiner Tat fuhr Gassama gestern Morgen im Mercedes-Van vor dem Élysée vor und wurde dort von Präsident Emmanuel Macron empfangen. In weißem Hemd und Jeans saß der Lebensretter sichtlich eingeschüchtert auf einem der vergoldeten Sessel des Palasts und erzählte.

Der Fußballfan saß in einem Billig-Restaurant im 18. Arrondissement, um das Finale der Champions League anzuschauen, als er gegen 20 Uhr Schreie und Hupen hörte. Er ging raus und sah ein Kind im vierten Stock mit nur einer Hand am Geländer eines Balkons hängen. Der junge Mann zögerte nicht, kletterte innerhalb von 30 Sekunden nach oben und rettete den vierjährigen Jungen. „Ich habe nicht daran gedacht, dass ich abstürzen könnte“, kommentierte er die Bilder, die ihn wie Spiderman von Balkon zu Balkon kletternd zeigen. Millionen Menschen sahen seither ein Amateurvideo von der Aktion des jungen Mannes, den die Schaulustigen mit Applaus und Anfeuerungsrufen begleiteten. „Je höher ich stieg, desto mutiger wurde ich“, sagte Gassama dem Staatschef. „Erst nachdem ich ihn gerettet hatte, habe ich gezittert.“ Auch der Nachbar des Jungen, der das Kind verzweifelt an einer Hand hielt, meldete sich im Fernsehsender BFMTV zu Wort. „Zwischen den beiden Balkonen gab es eine Trennwand, so dass ich ihn nicht zu mir herüberziehen konnte.“

Der Junge war allein zu Hause, da sein Vater zum Einkaufen gegangen war. „Das Problem war, dass er lange für den Nachhauseweg brauchte, weil er nach dem Einkauf Pokemon Go spielte“, sagte der Staatsanwalt von Paris, François Molins. Dem Vater drohen nun wegen Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht zwei Jahre Haft und 30 000 Euro Geldstrafe. Sein Sohn ist bereits in der Obhut des Jugendamts.

Macron würdigte den Einsatz mit zwei Worten: „Bravo, merci!“ und überreichte dem 22-jährigen Gassama eine Medaille und eine Urkunde für „Mut und Selbstlosigkeit“. Macron hatte aber noch ein größeres Geschenk in petto: eine Aufenthaltserlaubnis, gefolgt von einer schnellen Einbürgerung und einem Arbeitsplatz bei der Feuerwehr. „Das ist eine außergewöhnliche Tat, die eine außergewöhnliche Entscheidung erfordert“, sagte Macron.

Gassama bekam nach dem 20-minütigen Gespräch kaum ein Wort heraus. „Ich freue mich. Ich habe noch nie so eine Trophäe bekommen.“ Zusammen mit seinem Bruder und seiner Freundin verewigte er den Moment in Selfies vor dem Eingang des Élysée. Die französische Staatsbürgerschaft ist für ihn das Happy End einer fünfjährigen Odyssee, die ihn mit 17 Jahren zur Flucht aus dem vom Bürgerkrieg gebeutelten Mali trieb. Über Niger und Burkina Faso kam er nach Libyen, wo er nach eigenen Angaben misshandelt wurde. Wie tausende andere Flüchtlinge überquerte er das Mittelmeer nach Italien. Dort hat er laut BFMTV ein Aufenthaltsrecht bis 2022, das ihm auch Reisen in Europa erlaubt. Im September kam er nach Frankreich, wo er in einem Wohnheim im Norden von Paris lebt. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo begrüßte die Einbürgerung. „Ich sehe darin ein positives Zeichen für das, was Frankreich bei Aufnahme und Integration tun kann“, schrieb die Sozialistin auf Twitter. Ein Seitenhieb auf Innenminister Gérard Collomb, mit dem sie seit Wochen über den Umgang mit 2300 Flüchtlingen streitet, die in Paris unter freiem Himmel hausen.

Gassama ist nicht der erste, der für eine heldenhafte Tat die französische Staatsangehörigkeit bekommt. 2015 erhielt Lassana Bathily einen Pass, nachdem er bei der Geiselnahme im jüdischen Supermarkt Hyper Cacher mehrere Menschen gerettet hatte.

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