„Anatomische Bombe“ und Revolution

Paris · Von Stränden und aus Schwimmbädern ist der Bikini heute nicht mehr wegzudenken. Doch als der Designer Louis Réard im Jahr 1946 seine Erfindung der Welt präsentierte, war es ein Skandal.

Seine Bombe lässt Louis Réard vor 70 Jahren im legendären Pariser Molitor-Schwimmbad platzen. Am 5. Juli 1946 führt die Nackttänzerin Micheline Bernardini am Rande eines Schönheitswettbewerbs einen knapp geschnittenen Badeanzug vor: Stoffdreiecke verbunden durch dünne Bänder, so wenig Tuch ist ungeheuerlich für die damalige Zeit. Es ist die Geburtsstunde des Bikini - und eine Mode-Revolution. Bis der von Réard erfundene Zweiteiler seinen Siegeszug um die Welt antritt, werden Jahrzehnte vergehen. Der Vatikan verurteilt das entblößende Kleidungsstück, in Spanien und Italien wird es verboten, in Frankreich kurioserweise an der Atlantikküste, nicht aber am Mittelmeer. "Für die Zeit war das viel zu gewagt", sagt Ghislaine Rayer, Autorin des Buches "Bikini, die Legende". Réard sei ein Wegbereiter gewesen. Seinen Badeanzug benennt der Designer nach dem Bikini-Atoll, wo die USA am 1. Juli 1946 eine Atombombe testen. Ausgerechnet dann, wenn die Bilder des Atompilzes um die Welt gehen. Der Werbeslogan: "Der Bikini: Die erste anatomische Bombe". Neu ist das Prinzip eines zweiteiligen Badeanzugs nicht. "Aber der Bikini zeigt zum ersten Mal, was die Frauen bislang nicht zu zeigen wagten - den Bauchnabel", sagt Rayer.

Doch musste Réard wirklich auf die 19-jährige Nackttänzerin Micheline Bernardini zurückgreifen, weil kein Model den knappen Bikini tragen wollte? Unsinn, meint die Bikini-Spezialistin. Vielmehr arbeitete Réard schon vorher für die Präsentation seiner Entwürfe mit den Tänzerinnen des Clubs Casino de Paris zusammen, in dem Bernardini auftrat. Und war der Bikini-Erfinder tatsächlich Autoingenieur? "Er hat nur nach dem Ersten Weltkrieg ein Praktikum bei Peugeot gemacht, ein paar Monate lang", sagt Rayer.

Réard entstammt einer Familie von Kleiderfabrikanten und ist in den elterlichen Betrieb in Paris eingestiegen. Sein Bikini setzt sich nur mühsam durch, erst mit der 68er-Bewegung wird er zum Massenprodukt. Zwei Filmschönheiten treiben die Entwicklung voran: 1953 posiert die erst 18-jährige Brigitte Bardot am Strand von Cannes in einem Bikini mit Blumenmuster. "Am nächsten Tag spricht die ganze Welt nur vom Bikini von BB", sagt Rayer. Zehn Jahre später steigt Ursula Andress in "James Bond jagt Dr. No" in einem weißen Bikini aus dem Meer und löst bei Kinobesuchern Herzrasen aus. "Dieser Bikini hat mich erfolgreich gemacht", sagt Andress später. Legendär auch der US-Hit "Itsy Bitsy Teenie Weenie Yellow Polkadot Bikini" (1960), in Deutschland später als "Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strandbikini" ein Ohrwurm. Gealtert sei der Bikini nicht, sagt Rayer. "Es ist eines der wenigen Kleidungsstücke, das sich praktisch nicht verände rt hat."

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