Nach Attacke mit Säure Säure-Opfer erhält Briefe von Peiniger

Hannover · Ihr Ex-Freund übergoss Vanessa Münstermann mit Säure. Nun schreibt er ihr aus dem Gefängnis – und zeigt keine Reue.

 Seit der Säure-Attacke ist Vanessa Münstermanns Gesicht entstellt. Um anderen Opfern zu helfen, gründete sie den Verein „Ausgezeichnet“. 

Seit der Säure-Attacke ist Vanessa Münstermanns Gesicht entstellt. Um anderen Opfern zu helfen, gründete sie den Verein „Ausgezeichnet“. 

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Ihr neues Tattoo hat sie sich in der Türkei stechen lassen: „Überlebende“ steht seit Herbst in arabischen Schriftzeichen auf Vanessa Münstermanns Unterarm. Die 29-Jährige aus Hannover hat vor zwei Jahren ein Säure-Attentat ihres Ex-Freundes überlebt – seither ist ihre linke Gesichtshälfte zerstört, die junge Frau verlor ein Auge und ein Ohr. Wegen der wulstigen Narben am Hals muss sie den Kopf stets etwas gesenkt halten. Doch die gelernte Kosmetikerin, die vor der Tat ständig Komplimente für ihr Aussehen bekam, versteckt sich nicht – im Gegenteil.

Vor einem Jahr gründete sie den Verein „Ausgezeichnet“, um Menschen in ähnlicher Lage zu helfen. Nun lädt sie rund 150 Unterstützer und Opfer von Verbrennungen oder Verätzungen zu einem Empfang in ein Kino ein. Dann wird auch der Film „Wenn aus Liebe Hass wird“ in der Reihe „Menschen hautnah“ gezeigt. Das WDR Fernsehen strahlt ihn am Jahrestag des Anschlags (kommender Donnerstag, 22.40 Uhr) aus. In dem Film äußert sich auch der Täter schriftlich, zeigt keine Reue. Er sitzt eine zwölfjährige Haftstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung ab.

Der ohnehin dumme Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden“ gilt in Münstermanns Fall überhaupt nicht. Erst vor Weihnachten hat ihr der Täter wieder einen Brief aus dem Gefängnis geschrieben. „Du bist genug bestraft mit deinem Aussehen und wenn ich dich töten würde, wäre das nur dumm von mir“, stand darin. „Der Tonus ist, dass ich lüge und selber schuld bin“, sagt Münstermann. Sie ging zur Polizei. „Dort sagte man mir, dass sie nichts machen können und dass es darin keinen Anhaltspunkt für Ermittlungen gibt, weil alles Meinungsäußerungen sind.“

Ihre Angst sei größer geworden, sagt die junge Frau. „Denn jetzt habe ich etwas zu verlieren.“ Sie streichelt während des Gesprächs immer wieder über ihren Babybauch. Seit knapp einem Jahr hat sie wieder einen Freund – ihre Jugendliebe, zu dem sie nie ganz den Kontakt verloren hatte. Kurz nach dem Besuch beim Tätowierer in der Türkei erfuhr sie, dass sie schwanger ist. Das Paar sucht jetzt eine Wohnung.

Vor der Tat arbeitete sie in der Tankstelle ihres Stiefvaters, im Moment lebt sie von monatlich 500 Euro Opferentschädigung und 500 Euro Erwerbsminderungsrente. Mehrere Operationen sind noch nötig, aber jetzt steht das Baby im Mittelpunkt. Zudem arbeitet sie an einem Buch. Bisher sammelte ihr Verein „Ausgezeichnet“ knapp 5000 Euro an Spenden, mit Münstermanns gespendeten Fernsehhonoraren und Einlagen von Mitgliedern sind es 12 000 bis 13 000 Euro. Hinzu kommen Sachspenden: Cremes oder Kompressionsverbände. Die 29-Jährige betreut darüber hinaus zurzeit zwölf Betroffene regelmäßig, darunter fünf Männer und sieben Gewaltopfer. Der Austausch hilft ihr auch selbst. Eine Frau aus der Nähe von Köln, die vor Jahren Ähnliches erlebte, sei ein Vorbild, betont sie.

Rund 700 000 Menschen erleiden pro Jahr in Deutschland eine Verbrennung, dazu zählen auch Opfer von Strom oder Säure. Etwa 18 000 von ihnen müssen im Krankenhaus, 3000 in einem Brandverletzten-Zentrum behandelt werden. Viele Betroffene verstecken sich, gehen nur noch im Dunkeln spazieren, berichten Selbsthilfeverbände. Doch Münstermann möchte zeigen, dass Schönheit nicht Makellosigkeit bedeutet. „Wir sind viele. Mein Gesicht können die Leute doch bald nicht mehr sehen“, sagt sie mit Blick auf ihre Medienpräsenz.

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