Köln Eine Stadt in Abstiegsangst

Köln · Silvesternacht, Stadtarchiv und jetzt auch noch der FC. Köln hatte schon bessere Zeiten.

Dunkle Wolken über dem Dom: Ein Symbol für einige Negativ-Schlagzeilen, die Köln aufs Gemüt drücken. Folgt mit dem Abstieg des 1. FC Köln das nächste?

Dunkle Wolken über dem Dom: Ein Symbol für einige Negativ-Schlagzeilen, die Köln aufs Gemüt drücken. Folgt mit dem Abstieg des 1. FC Köln das nächste?

Foto: dpa/Maja Hitij

An einem Mittwoch im vergangenen Juni hat der 1. FC Köln prominenten Besuch. Martin Schulz betritt den „heiligen Rasen“, wie er das Stadion im Stadtteil Müngersdorf nennt. Etwa zwei Monate zuvor hat sich der Fußballclub nach langer Zeit mal wieder für den Europapokal qualifiziert, es läuft blendend. Aus dem Besuch bringt Schulz eine Abmachung mit. Man habe vereinbart, „dass wir in diesem Jahr Folgendes regeln: Wenn der FC europäisch spielt, werde ich Bundeskanzler.“

Das alles liegt nur einige Monate zurück, gefühlt sind es aber Jahre. Martin Schulz ist heute einfacher SPD-Abgeordneter in Berlin. Und beim FC sind die Spiele im Europapokal nur noch verblassende Erinnerungen für die Vereinschronik. Wenn kein Wunder geschieht, steigt der „Effzeh“ nach einer weitgehend gruseligen Saison aus der ersten Bundesliga ab. Am Samstag beim Auswärtsspiel gegen Freiburg könnte es soweit sein. In Köln wäre es wohl der zweite Trauertag des Jahres – nach Aschermittwoch.

Es gibt die Theorie, dass Fußballclubs ganz gut die Verhältnisse in den Städten widerspiegeln, in denen sie groß geworden sind. So ist das auch in Köln. Vom Rausch über die eigene Einzigartigkeit bis zum Hadern mit den Niederungen des Alltags ist es weder beim Verein noch in der Stadt besonders weit. Der FC ist Köln und umgekehrt. Und daher stellt sich die Frage: Ist der Abstieg nicht doch mehr als nur ein sportlicher Niedergang? Der Psychologe Stephan Grünewald zieht die große Linie. „Köln hat in den letzten Jahren viele Abstiegserfahrungen jenseits des Fußballs gemacht.“ Grünewald meint zum Beispiel den Einsturz des Stadtarchivs vor neun Jahren. „Dann kam die Silvesternacht und die Oper, die nicht fertig wird“. Das alles nage am Selbstvertrauen. In der Außenwirkung sei Köln auf vielen Feldern schon zweitklassig. „Und das holt sie jetzt auch im Fußball ein“, sagt Grünewald, Leiter des Marktforschungsinstituts Rheingold.

Zugleich hält er einen Abstieg des FC für den Abstieg, den die Kölner „noch am besten verkraften“ könnten. In einem Jahr kann die Welt schließlich schon wieder ganz anders aussehen. Und in der Zweiten Liga ist die Wahrscheinlichkeit sowieso größer, mal wieder mehr zu gewinnen. Auch das wäre eine recht kölsche Sichtweise. „Der Kölner Humor kann die Daseinsschwere oft ganz gut abfedern“, sagt Grünewald.

Neben dem mehr oder minder großen Knacks in der Seele drohen aber auch wirtschaftliche Folgen. „Erfahrungsgemäß“ wirke sich ein Abstieg „nachteilig auf die Besucherfrequenz von Fans der Gastmannschaften bei den 17 Heimspielen in Köln aus“, sagt der Geschäftsführer von KölnTourismus, Josef Sommer. „Erfahrungsgemäß“ kann Sommer mit Fug und Recht sagen, da es der sechste Absturz nach 1998, 2002, 2004, 2006 und 2012 wäre.

Jemand, der gegen die These vom großen Imageschaden argumentiert, ist Wolfgang Bosbach. Er kann als Kronzeuge für die Befindlichkeiten des FC-Anhangs gelten. Wenn möglich, geht der CDU-Politiker aus Bergisch Gladbach zu jedem Heimspiel. Bosbach sagt, dass es sich um den „unnötigsten Abstieg seit der Erfindung des Fußballs“ handle. Aber das Publikum habe sich nicht gegen die Mannschaft gestellt. Es habe keine unschönen Szenen gegeben – also auch keinen Imageschaden für die Stadt insgesamt. „Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Fan des FC Bayern München zu sein ist keine Kunst“, sagt Bosbach. Da habe man quasi eine Jubelgarantie. „Aber wer Fan des 1. FC Köln ist, der erlebt alle Höhen und Tiefen.“ Die will Bosbach weiter mittragen – auch in Liga zwei.

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