Ein Tag für gestresste Mütter

Köln · Vor 90 Jahren etablierte sich der Muttertag hierzulande. Während einige den Brauch als wichtiger denn je einstufen, würden andere ihn am liebsten abschaffen – denn seine Geschichte hat auch dunkle Seiten.

Der Muttertag kommt in die Jahre. Zum 90. Mal werden Mütter überall in Deutschland von kleinen, großen und erwachsenen Kindern wieder mit Blumen oder Bastelarbeiten beschenkt - diesmal am 12. Mai. Allerdings zweifeln nicht wenige, ob der Brauch noch zeitgemäß ist. Verstaubt und altmodisch, sagen manche. Einige wollen ihn abschaffen. Fest steht: Der Gedenktag lenkt einen Blick auf den Mutterjob. Und der ist kein Zuckerschlecken, er kann - bei aller Freude und Bereicherung - auch stressen und krank machen. Die Anforderungen wachsen. "Die Belastungen nehmen zu. Es gibt einen Wahnsinnsdruck", sagt Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks. "Mütter müssen für den Partner attraktiv bleiben, interessiert sein und möglichst erfolgreich im Job. Und sie sollen die Kinder fördern - schulisch, musisch und sportlich. Das alles unter Zeitdruck."

Schilling weiß: "Viele Mütter haben in einem hohen Maße einen Perfektionsanspruch an sich selbst." Ergebnis bei Zehntausenden: Schwere Erschöpfung, Burn-out, Schlafstörungen, Rückenschmerzen, Muskel-Skelett-Erkrankungen, Allergien. "2012 sind 135 000 Mütter in unsere Beratungen gekommen, 44 000 von ihnen sind zur Kur in eine unserer Kliniken gekommen."

Was belastet? Mütter geben an: Mangelnde Anerkennung, ständige Zeitnot, Hauptverantwortung für die Familie, Partnerschaftsprobleme, finanzielle Sorgen, Pflege eines Angehörigen, soziale Isolation. Mütter aller Schichten sind betroffen, betont Schilling. Jede fünfte Mutter bundesweit ist alleinerziehend. Etwa 60 Prozent arbeiten, eine wachsende Zahl pflegt einen Angehörigen.

Mütter brauchen mehr Unterstützung, sagt das Genesungswerk. Der Muttertag habe zwar ein altmodisches Image, bleibe aber sinnvoll. Schilling empfiehlt als Präsent: "Einen Gutschein für regelmäßiges Spülmaschine-Ausräumen, Konzertkarten oder mal Sportkurs-Angebote raussuchen." Tatsächlich spielt nach 90 Jahren der Muttertag noch bei vielen eine Rolle. Von rund 1000 Müttern, die Forsa aktuell befragt hat, gaben 57 Prozent an, ihn in irgendeiner Form zu feiern. 48 Prozent finden ihn schön, "weil er meine Leistung anerkennt".

Die Soziologin Sabina Schutter sagt, gerade angesichts der wachsenden Ansprüche an die Frauen sei der Muttertag ein "schönes Ritual", das Dankbarkeit ausdrückt und Beziehungen festigt. Mütter freuen sich dabei mehr über traditionelle Geschenke als etwa über einen "modernen" Facebook-Gruß, glaubt die Wissenschaftlerin vom Deutschen Jugendinstitut in München. "Ein Muttertag entbindet allerdings Gesellschaft und Politik nicht davon, gleichstellungs-, familien- und sozialpolitisch aktiv für die Verbesserung der Situation von Familien einzutreten."

Von den Nazis missbraucht

Doch nicht alle sind für die Beibehaltung des Muttertags. "Ich plädiere für die Abschaffung", erklärt Professorin Annette Henninger von der Uni Marburg. Sie begründet ihre Forderung mit der "komplizierten Geschichte" des Tages. Die Idee kommt aus der englischen und amerikanischen Frauenbewegung Ende des 19. Jahrhunderts. Der Blumenhandel witterte ein Geschäft, etablierte den Muttertag hierzulande 1923. Im Nationalsozialismus wurde er missbraucht, als "Ehrentag" der kinderreichen "arischen" Mutter propagiert. Dieses dunkle Kapitel sei nicht umfassend aufgearbeitet, sagt die Gender-Forscherin.

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