Dieser Holzweg

Hamburg · Gerade mal zwei Tage lang war Xavier Naidoo offiziell Deutschlands neuer Kandidat für den ESC. Ohne Vorentscheid und Abstimmung der Fans, auserkoren von den ARD-Verantwortlichen. Jetzt kam der Rückzieher.

Andreas Kümmert wird zum Kneifer, Ann Sophie zur Null-Punkte-Letzten und Xavier Naidoo nun auch zum Debakel für Deutschlands ESC-Verantwortliche. Ausgerechnet ihn - einen der umstrittensten Sänger in Deutschland - hatte die ARD als Sänger für den nächsten Eurovision Song Contest (ESC) auserkoren. Ohne die treuen Fans des stets schlagzeilenträchtigen Spektakels wie gewohnt bei einem Vorentscheid abstimmen zu lassen, sondern einfach bestimmt. Eine gewaltige Wutwelle setzte im Internet ein, zwei Tage lang schwappte sie über Naidoo und den NDR, der innerhalb der ARD für den ESC verantwortlich ist. Jetzt der Rückzieher: Naidoo singt doch nicht. Kritiker werfen dem 44-Jährigen unter anderem vor, ein Rassist und schwulenfeindlich zu sein.

"Dass Xavier Naidoo polarisiert, wussten wir", sagt ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber schon am Tag der Bekanntgabe. Zwei Tage später wiederholt er die Formulierung, aber fügt hinzu: "Die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht."

"Wir haben das falsch eingeschätzt", sagt er. Die Begründung: "Die laufenden Diskussionen könnten dem ESC ernsthaft schaden." Der Eurovision Song Contest sei ein fröhliches Event , bei dem die Musik und die Völkerverständigung im Mittelpunkt stehen sollten, meint Schreiber. Fröhlich war der ESC aus Sicht der hiesigen Fan-Gemeinde aber schon lange nicht mehr. Beim Vorentscheid in diesem März verkündet Gewinner Andreas Kümmert, dass er lieber doch nicht im Finale in Wien auftreten will. Seinerstatt fuhr die Zweitplatzierte Ann Sophie hin - und kam mit null Punkten und einem letzten Platz zurück. Nach der Absage für Naidoo zeigt sie Humor: "Dann fahr ich halt wieder", schreibt sie in sozialen Medien.

Ann Sophie war ein Newcomer - genau wie Lena Meyer-Landrut, die für Deutschland, nach langen Jahren des vergeblichen Wartens seit dem bis dahin einzigen Grand-Prix-Sieg 1982 mit der Saarländerin Nicole, 2010 endlich mit "Satellite" die ESC-Krone holte. Im Jahr danach trat Lena erneut an und wurde Zehnte. Von den Top Ten blieben die deutschen ESC-Kandidaten danach meistens weit entfernt. Nur Roman Lob kam 2012 als Achter noch unter die ersten Zehn. Bei ihm hatte Stefan Raab - spätestens mit seinem Schützling Lena als ESC-Retter gefeiert - noch mitgemischt. "Was läuft schief beim deutschen Vorentscheid?", fragten viele nach der Nullnummer von Wien. Und nicht wenige riefen wieder einmal nach Raab. Doch der 49-Jährige, der mehrere Male an den deutschen Beiträgen beteiligt war und mit "Wadde hadde dudde da?" selbst im ESC-Finale 2000 in Stockholm Fünfter wurde, hatte sich schon aus dem Grand-Prix-Geschehen zurückgezogen und wird demnächst seine TV-Karriere beenden.

Naidoo erklärte am Samstag, die ARD sei vor einigen Monaten auf ihn zugekommen und habe ihn gebeten, für Deutschland beim ESC anzutreten. "Ich habe nach reichlicher Überlegung schließlich zugesagt, weil dieser Wettbewerb ein ganz besonderes Ereignis für mich gewesen wäre." Die Rücknahme sei einseitig entschieden worden.

"So schnell wie möglich werden wir entscheiden, wie der deutsche Beitrag für den ESC in Stockholm gefunden wird", kündigt Schreiber an. Zumindest der Termin steht fest: Am 14. Mai 2016 steigt in Stockholm das Finale des 61. Eurovision Song Contest . > : Glosse

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