Der Herr über die ZeitumstellungTerminchaos und Unwohlsein: Russen wünschen sich die Winterzeit zurück

Braunschweig. In der Nacht zum Sonntag ist es wieder so weit: Um drei Uhr wird uns dann - jedenfalls oberflächlich betrachtet - eine Stunde geschenkt. Denn dann gilt wieder für fünf Monate die Normalzeit. Die Uhren werden um eine Stunde zurückgestellt. Einer, der es ganz genau nimmt mit der Zeit - besser gesagt: Einer, der es ganz genau nehmen muss - ist Andreas Bauch

 Andreas Bauch und sein Team sind dafür zuständig, dass sich die Atomuhr in Braunschweig korrekt auf die Winterzeit umstellt. An ihr orientieren sich Funkuhren in ganz Deutschland. Foto: Stratenschulte/dpa

Andreas Bauch und sein Team sind dafür zuständig, dass sich die Atomuhr in Braunschweig korrekt auf die Winterzeit umstellt. An ihr orientieren sich Funkuhren in ganz Deutschland. Foto: Stratenschulte/dpa

Braunschweig. In der Nacht zum Sonntag ist es wieder so weit: Um drei Uhr wird uns dann - jedenfalls oberflächlich betrachtet - eine Stunde geschenkt. Denn dann gilt wieder für fünf Monate die Normalzeit. Die Uhren werden um eine Stunde zurückgestellt. Einer, der es ganz genau nimmt mit der Zeit - besser gesagt: Einer, der es ganz genau nehmen muss - ist Andreas Bauch.Der 55-Jährige leitet das Zeitlabor an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Die PTB-Mannschaft ist seit 1980 für die Zeitumstellungen zuständig.

Unzählige deutsche Einrichtungen und Unternehmen empfangen das Signal aus Braunschweig, unter anderem stellen sich die Uhren der Deutschen Bahn danach. Bauch wird in der Nacht auf Sonntag trotz dieser Verantwortung friedlich schlummern. Das Zeitlabor ist nachts menschenleer. Die Umstellung läuft automatisch ab, dafür haben Bauch und sein Team im Vorfeld gesorgt.

Um drei Uhr werden die Zeiger an der Atomuhr um 60 Minuten zurückgedreht - aber nur bildlich gesprochen. Tatsächlich ist die Cäsiumuhr im Zeitinstitut der Bundesanstalt ein unförmiges Messgerät; ein schnörkelloser Taktgeber, ohne Zählwerk oder Pendel.

Sechs Armbanduhren, Radiowecker und Uhren stehen in Bauchs Wohnung. Ein Uhren-Narr sei er aber nicht: "Privat bin ich kein Pedant. Dennoch sind wir letztlich doch alle ziemlich zeitgetaktet", sagt der Physiker. "Ich finde es schon ziemlich unhöflich, wenn sich jemand verspätet und sich dann nicht einmal entschuldigt."

Seit er vor 30 Jahren bei der PTB zu arbeiten begann, lebt Bauch mit seiner Familie in Braunschweig. Nach dem Physikstudium im Mainz war das Angebot für die Doktorandenstelle gekommen - an der "Zonengrenze", wie die Kommilitonen damals spotteten. "Mir gefällt meine Arbeit gut, und ich werde wohl auch hier pensioniert werden", sagt Bauch, der ursprünglich Meteorologe werden wollte.

Dass so häufig über Sinn und Unsinn der Zeitumstellung diskutiert wird, findet er fragwürdig. Schließlich gebe es sie schon seit 32 Jahren. Aber: "Wenn ich das zu entscheiden hätte, dann würde ich die Sommerzeit das ganze Jahr haben." Aus einem ganz einfachen Grund: Viele Menschen könnten wegen der zunehmenden Reizüberflutung im digitalen Zeitalter nicht mehr gut schlafen, glaubt Bauch. Er gehöre allerdings nicht dazu. "Ich selbst habe keine Schlafstörungen und komme selten aus meinem Rhythmus." Auch am Wochenende stehe er äußerst selten nach 7.30 Uhr auf. Außer an diesem Sonntag: Dann werde er das Frühstücksei vielleicht schon eine Stunde früher aufschlagen. Moskau. In Russland ist die Frage nach der richtigen Zeit für die Menschen ein nationales Ärgernis. Seit der Kreml vor einem Jahr die "ewige Sommerzeit" anordnete, klagen viele Menschen in den Wintermonaten, sie seien nicht ausgeschlafen oder fühlten sich abgeschlagen. Auch Kremlchef Wladimir Putin räumte ein, dass er Probleme mit dem Aufstehen habe. Doch ob und wann die Winterzeit wieder eingeführt wird, ist auch kurz vor dem Stichtag noch offen.

Schon vor den Dauerklagen vieler Russen hatten Mediziner und Astronomen gewarnt, dass das Leben nach Sommerzeit im Winter dem natürlichen Rhythmus des Menschen zuwiderlaufe. Im Gespräch ist nun, statt der Sommerzeit künftig dauerhaft nach der Winterzeit zu leben. Kommentatoren verfolgen das Hin und Her mit Kopfschütteln. Sie sehen die Machtführung in der Klemme: Wenn der Kreml jetzt einen Rückzieher macht, könnte die Aktion als peinlicher Schnellschuss in die Geschichte eingehen. Vermutlich deshalb sollen Wissenschaftler jetzt genauer untersuchen, nach welcher Zeit die Russen am besten leben.

Bis dahin droht noch einiges Chaos: Auch in diesem Jahr werden sich viele Computer und Smartphones wohl wieder stur auf die international gültige Winterzeit umschalten. Schon im vergangenen Jahr führte das zu einem großen Terminchaos. dpa

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