„Der beste Wettbewerb der Welt“

Stockholm · Flüchtlingskrise, Extremismus, Brexit-Gefahr, Spannungen mit Russland: Probleme hat Europa gerade genug. Der Eurovision Song Contest lenkt für einen Abend davon ab.

 Die Fans Matthias und Dasweni Sai aus Hongkong haben sich für das Spektakel in Schale geschmissen. Foto: Pedersen/dpa

Die Fans Matthias und Dasweni Sai aus Hongkong haben sich für das Spektakel in Schale geschmissen. Foto: Pedersen/dpa

Foto: Pedersen/dpa

Politik? Pop? Der Eurovision Song Contest (ESC) ist immer beides, ob die Macher es wollen oder nicht. So offensichtlich wie in diesem Jahr war das aber schon länger nicht mehr. Gleich im ersten Halbfinale war die Flüchtlingssituation ein Thema. Und der Beitrag der Ukraine wird diskutiert, weil manche darin eine Kritik an der Krim-Annexion durch Russland sehen. Unter den Fans in Stockholm ist von politischen Spannungen oder EU-Krise aber nichts zu spüren. Tausende aus aller Welt feiern gemeinsam eine große Party.

Einen Sieg von Jamie-Lee Kriewitz halten manche Optimisten für gar nicht so unwahrscheinlich. Die 18-Jährige will im niedlich-bunten Manga-Outfit mit ihrem Song "Ghost" Punkte für Deutschland sammeln. "Wieso nicht anders sein? Dann reden die Leute zumindest drüber", finden zwei Fans , die extra aus dem australischen Perth eingeflogen sind. Ohne die Hingabe der Fans wäre der ESC nur irgendein Wettstreit. Für viele ist das Spektakel der Höhepunkt des Jahres. Seit Tagen sind unverkleidete Menschen rund um die Halle "Globen" in der Unterzahl. "Es ist einfach der beste Wettbewerb der Welt!", schwärmt Sai Dasweni aus Hongkong, die mit ihrem Mann zum fünften Mal dabei ist. Sie haben sich in ein gelb-blaues Wikinger-Kostüm geschmissen. Um sie herum grölen Flaggen schwenkende Polen und Männer in Lederhosen.

"Man sieht einfach, dass selbst wenn politische Meinungen auseinandergehen es trotzdem etwas gibt, das alle verbindet - und zwar die Musik", sagt Kriewitz.

Da ist in diesem Jahr wieder alles dabei: von Liebesballaden über exotische Folklore-Songs bis zu fluffigen Sommerhits. Erstaunlich viele Teilnehmer entstammen Castingshows privater Sender - wie Kriewitz. Die Schülerin gewann 2015 die Show "The Voice of Germany".

Bei den bildgewaltigen Animationen und Glitzerkleidern der Konkurrenz dürfte der Teenager es nicht ganz leicht haben, im Gedächtnis zu bleiben. Nach dem deutschen Desaster 2015 - die damalige Kandidatin Ann Sophie ging komplett leer aus - wäre aber alles ab einem Punkt ein Erfolg.

"Twelve Points" gehen, wenn man den Online-Wetten glauben will, vor allem an Russland. Sergej Lasarews Beitrag "You Are The Only One" erinnert verdächtig den Sieger-Song "Heroes" vom vergangenen Jahr. Was einmal geklappt hat, klappt auch noch einmal? Die Fans haben da so ihre Zweifel. "Russland ist überschätzt", sagt Fan Christian Wittkötter. "Ich glaube, dass die Leute nicht mehr dieses Perfekte sehen wollen, sondern was Frisches." Wie Österreicherin Zoë, die auf Französisch "Loin d'ici" trällert. "Die Fans liegen ihr zu Füßen", sagt Wittkötter.

Im Fall eines russischen Siegs hatten ESC-Fans schon angekündigt, das nächste Event zu boykottieren, um gegen die Lage Homosexueller in dem Land zu protestieren. Hoch im Kurs stehen bei den Fans auch der säuselnde Franzose Amir ("J'ai cherché") und die australische Pop-Queen Dami Im ("Sound Of Silence"). Zum zweiten Mal hat "Down Under" als Ehrengast einen Kandidaten zum Grand Prix geschickt.

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