Armut bremst Entwicklung von Kindern

Gütersloh · Kinder aus armen Elternhäusern hinken bereits früh hinterher. Die Gefahr, dass sie in ihrer Entwicklung lange vor Beginn der Schule zahlreiche Defizite aufweisen, ist groß. Die Kommunen müssen gegensteuern, so eine Studie.

Probleme mit der Sprache, das Zählen fällt schwer, Sport und Musik spielen kaum eine Rolle: Viele Kinder, deren Familien von Hartz IV leben, hinken in ihrer Entwicklung bereits im Vorschulalter hinterher. Das zeigt eine am Freitag veröffentliche Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung. Demnach weisen sie mehr als doppelt so viele Defizite auf als Altersgenossen aus gesicherten finanziellen Verhältnissen. Über 40 Prozent der armutsgefährdeten Kinder sprechen nur mangelhaft Deutsch. Geht es den Familien finanziell besser, haben hier nur rund 14 Prozent große Defizite. Ähnlich sieht es bei Problemen mit der Körperkoordination aus (24,5 zu 14,6 Prozent), dem Umgang mit Zahlen (28 zu 12,4) oder Übergewicht (8,8 zu 3,7).

Auffällig ist auch, dass Kinder mit Armutshintergrund kaum Zugriff auf soziale und kulturelle Angebote haben. Nur zwölf Prozent von ihnen lernen ein Instrument. Auch beim Zugang zu einem Sportverein hinkt die Gruppe mit 46 zu 77 Prozent hinterher. Bei der frühkindlichen Bildung sieht es ebenfalls nicht gut aus. Vor dem dritten Geburtstag gehen nur 31 Prozent der armen Kinder in eine Kita, bei der anderen Gruppe sind es fast 48 Prozent.

Die Studie weist allerdings daraufhin, dass ein Kita-Besuch kein Allheilmittel ist. Positive Effekte habe die Kita nur, wenn die Gruppen sozial gemischt sind. Wenn es einer Kommune nicht gelingt, für eine sinnvolle soziale Durchmischung in der Kita zu sorgen, müssen die Ressourcen anders verteilt werden, raten die Autoren. "Kitas in sozialen Brennpunkten brauchen dann mehr Geld, mehr Personal und mehr Förderangebote", sagt Brigitte Mohn vom Vorstand der Stiftung. Für die Studie haben Forscher der Uni Bochum 5000 Schuleingangsuntersuchungen der Jahre 2010 bis 2013 in der Ruhrgebietsstadt Mülheim analysiert. Nach Angaben der Stiftung wachsen in Deutschland mehr als 17 Prozent der unter Dreijährigen in Familien auf, die von der staatlichen Grundsicherung leben.

"Kinderarmut ist in Deutschland ein echtes Massenphänomen", sagte Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband zu den Ergebnissen der Studie. Zugleich übte er Kritik am Koalitionsvertrag der Bundesregierung, in dem der Begriff der Kinderarmut nicht auftauche.

Meinung:

Armes Deutschland

Von SZ-RedakteurThomas Schäfer

Diese Studie hätte es eigentlich nicht gebraucht. Dass Kinder aus armen Familien in der Regel massive Nachteile haben, ist ebenso logisch wie altbekannt. Dennoch ist die Studie wichtig, denn sie nennt eine verdrängte Wahrheit beim Namen: Trotz aller gut gemeinten Anstrengungen der vergangenen Jahre lassen wir zigtausende Kinder, die bei der Geburtenlotterie weniger Glück hatten, noch immer oft allein. Es reicht nicht, nur die bloße Zahl der Kitas zu erhöhen - die Qualität der Betreuung ist entscheidend. Keine Frage: Um alles kann sich der Staat nicht kümmern, nicht jedem kann geholfen werden. Doch das Ausmaß der Benachteiligung ist für eines der reichsten Länder der Welt beschämend.

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