Obama ereilt der Fluch der zweiten Amtszeit

Washington · Ein Jahr nach der Wiederwahl von Barack Obama am 6. November 2012 erkennen Kritiker ein Muster beim US-Präsidenten.

Wann immer es für ihn unangenehm wird, weiß Obama von nichts. Der Lauschangriff auf Bundeskanzlerin Angela Merkel? Erst im Sommer habe er davon erfahren, dass seine Spione das Telefon seiner wichtigsten Verbündeten abhörten. Die Probleme mit der Kranken-Versicherungsbörse, auf der sich Amerikaner im Internet nach einer Police umschauen können? Obwohl die Jahrhundertreform der Gesundheit die wichtigste Errungenschaft seiner Präsidentschaft ist, steht Obama angeblich staunend vor dem Desaster.

Die Liste lässt sich fortsetzen. Die Diskriminierung von rechten Tea-Party-Gruppen durch die Steuerbehörde? Der Präsident will davon aus der Zeitung erfahren haben. Nicht zu vergessen das Hineinstolpern in eine Lösung der Syrien-Krise. Die Wähler strafen den Präsidenten mit Umfragewerten ab, die sich den Negativrekorden seines Vorgängers George W. Bush nähern. Mehrere Studien sehen Obamas Beliebtheitswerte ein Jahr nach seiner Wiederwahl bei mageren 41 Prozent. Mehr als die Hälfte der Amerikaner sind unzufrieden mit Obamas Management. Und erstmals hat er auch als Person höhere Negativ- als Positivwerte.

In seinem Umfeld wird schnell darauf verwiesen, dass nach dem gefährlichen Tanz auf der Fiskal-Klippe und dem drohenden Staatsbankrott alle politischen Institutionen in Washington an Vertrauen eingebüßt haben. Viel Trost wird das Weiße Haus darin jedoch nicht finden. Denn ohne breite öffentliche Unterstützung kann Obama seine Präsidentenkanzel nicht effektiv nutzen, politische Projekte wie die Einwanderungsreform durch den Kongress zu peitschen. Stattdessen zwingt ihn das PR-Desaster um die Gesundheitsreform in die Defensive. Gleichzeitig droht zum Jahresende eine weitere Fiskalkrise, falls sich Republikaner und Demokraten nicht auf einen großen Kompromiss bei Haushalt und Schulden verständigen.

Spiegelbildlich häufen sich die Probleme mit den Verbündeten, die sich von dem Friedens-Nobelpreisträger verletzt fühlen. Zurecht erwarten die befreundeten Staaten von Obama, die Zuschauerrolle aufzugeben. Ohne entschiedenes Durchgreifen und klare Regeln für die NSA im Umgang mit Verbündeten warten auf den Präsidenten international für den Rest seiner Amtszeit so viele Blockaden wie im Innern.

"Fast immer erweisen sich zweite Amtszeiten als ziemlich erbärmlich", gibt Präsidentschafts-Historiker Michael Beschloss geschichtliche Perspektive. In neuerer Zeit musste Richard Nixon zurücktreten, Bill Clinton hatte ein Amtsenthebungs-Verfahren am Hals und George W. Bush kann sich bis heute wegen des Scherbenhaufens nirgendwo sehen lassen, den er in Irak und in der Wirtschaft hinterlassen hat. Nicht ohne Grund sprechen Historiker vom "Fluch der zweiten Amtszeit". Während Obama gut daran tut, sich nicht in jedes Detail des Regierens zu verlieren, kann er die Doppelkrise aus Gesundheitsreform und NSA-Affäre nicht ignorieren. Beides setzt das politische Erbe des "Yes-We-Can"-Präsidenten aufs Spiel, der mit dem Versprechen angetreten war, die USA im Inneren zu modernisieren und die Reputation der Weltmacht zu verbessern. Ein Jahr nach seiner Wiederwahl drohen ihm beide Ziele zu entgleiten.

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