„Nur schreiben, schreiben, schreiben“

Saarbrücken · Impotenz, die letzte Liebe – und immer wieder die Lust am Schreiben. Martin Walsers Roman „Ein sterbender Mann“ ist ein typischer Spätwerk-Walser: mal beeindruckend, mal wie eine Eigen-Parodie wirkend.

 Martin Walser 2013 bei einer Lesung in Saarbrücken. Foto: Dietze

Martin Walser 2013 bei einer Lesung in Saarbrücken. Foto: Dietze

Foto: Dietze

Muss man sich sorgen? Wenn einer mit 88 ein Buch "Ein sterbender Mann" nennt, beunruhigt das. In der Tat gibt es in Martin Walsers neuem Roman sehr ernste Stellen. Von einem Vermächtnis aber kann keine Rede sein. Schon eher von einer Rechtfertigung, mit der er sich dafür entschuldigt, dass er meint, immer noch schreiben zu müssen.

Theo Schadt heißt der "sterbende Mann". Schon der Name ist Programm. 72 ist er und am Ende, nachdem ein Freund ihn bitter enttäuscht hat. "Ich kann nicht leben, wenn das, was mir passiert ist, möglich ist", klagt er in einem Suizidforum im Internet. Als Gründer des Startup-Unternehmens "Patente & Mehr" ging es ihm gut, bis er in eine aus Schlangengift gewonnene Arznei gegen Herzinfarkt investiert und sein ganzes Vermögen dabei verloren hat. Sogar impotent ist Schadt seitdem.

Als er sich schlau machen will, wie er elegant aus dem Leben scheiden kann, lernt er in einem Internetforum "Aster" kennen. Die "Irreversibilität" ihres Todeswunsches beeindruckt ihn, er beginnt ihr zu schreiben, nennt sie seine "Suizid-Referentin". Gerade weil der Liebe dieser Todgeweihten keine Chance vergönnt sein kann, gibt er sich ihr mit Haut und Haar hin. Das Glück scheint perfekt, als sich herausstellt, dass sich hinter "Aster" die tangoverrückte Sina Baldauf verbirgt, die Theo kürzlich kennengelernt hat. Regelrecht eine "Sina-Entzündung" habe er sich geholt, gesteht er, spricht von seiner "Wiedergeburt". Sogar die Trennung von der Ehefrau nimmt er in Kauf.

Phasenweise liest sich der Roman, als habe ihn Walser aus übrig gebliebenen Versatzstücken seiner letzten Bücher zusammengesetzt. Weite Teile sind als Briefroman konzipiert, wie "Das dreizehnte Kapitel" (2012). Da gibt es die Maskenspiele und das Süßholzgeraspel aus "Die Inszenierung" (2013). Sogar die Aphorismen aus "Meßmers Momente" (2013) finden einen Platz. Sicher werden manche Kritiker wieder die Worterfindungskraft Walsers loben. Doch die Romane des Alterswerks in ihrer verquasten Sprache muten allesamt an wie Parodien. Dass er noch anders kann, hat er mit den versöhnlichen Schriften "Shmekendike blumen" sowie "Unser Auschwitz: Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld" bewiesen, mit denen er den Diskussionen um seine kritisierte Paulskirchenrede (1998) ein Ende gesetzt hat. Auch im Roman gibt es sehr gelungene Passagen, etwa, wenn er mit viel Humor eine Literaturpreisverleihung beschreibt. Da übt er feinsinnig Gesellschaftskritik wie in früheren Tagen.

Lange schon genießt der am Bodensee lebende Großschriftsteller Narrenfreiheit. Er muss es keinem mehr beweisen. Im Roman lässt er seinen Theo Schadt sagen, das Schreiben sei für ihn der "Hauch einer Weiterlebensillusion". Die Briefe an Sina werden zum letzten Lebenssinn. "Dabei weiß er überhaupt nicht, was er ihr schreiben sollte, könnte, dürfte, müsste. Nur schreiben, schreiben, schreiben. Nur an sie, sie, sie. Bis zur Bewusstlosigkeit. Das wäre die Erlösung, wenn er schriebe, bis er bewusstlos zusammensänke, wenn möglich für immer." Sehr wohl darf man das auf Walser selbst beziehen, dem das Schreiben ebenfalls zum letzten Halt geworden ist.

Auch er errichtet, wie seine Figur sagt, "Eine Mauer aus Wörtern gegen jede Art Wirklichkeit". Wen kümmert es, ob er sein Denkmal beschädigen könnte. Wenn das Schreiben doch so Spaß macht! Wie selbstironisch, wie spielerisch Walser das Problem des alternden Schriftstellers abhandelt, ist schon wieder bewundernswert, auch wenn man die süßen Liebesschwüre kaum mehr ertragen mag. Wer will es ihm versagen? "Meine Bücher, die von einem wirklichen Dichter geschmähten Bücher sind mir lieb", sagt Schadt im Roman. "Ich schrieb ehrgeizlos. Ich schrieb, wie mir zumute war. Die Leute lesen‘s gern. Immer noch. Literatur, Dichtung, keine Spur. Mich versteht jeder. Das musste einmal gesagt werden."

Martin Walser : Ein sterbender Mann. Rowohlt, 288 Seiten, 19,95 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort