Nur der Richter soll "Arzt zur Wache" rufen

Karlsruhe. Jahrelang brauchten Polizisten nur drei Buchstaben ins Funkgerät zu sprechen, um von betrunkenen Autofahrern eine Blutprobe zu bekommen: "AzW". Das Kürzel bedeutet "Arzt zur Wache", erzählt Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft

Karlsruhe. Jahrelang brauchten Polizisten nur drei Buchstaben ins Funkgerät zu sprechen, um von betrunkenen Autofahrern eine Blutprobe zu bekommen: "AzW". Das Kürzel bedeutet "Arzt zur Wache", erzählt Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft. Meist sei die Prozedur in einer halben Stunde erledigt gewesen, der Alkoholsünder wurde ins Taxi gesetzt und nach Hause gefahren - und fertig. Dass im Gesetz steht, dass ein Richter die Blutentnahme anordnen muss, und dass davon nur bei Gefahr im Verzug eine Ausnahme gemacht werden darf - das habe die Beamten in der Praxis oft nicht gekümmert, sagt Wendt. Damit jedoch dürfte spätestens nach einer gestern bekannt gegebenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Schluss sein. Die Beamten müssten zumindest versuchen, eine richterliche Anordnung zu bekommen, entschieden die Karlsruher Richter. Eine generelle Berufung auf "Gefahr im Verzug" beim Verdacht auf Trunkenheitsfahrten sei nicht zulässig (Az. 2 BvR 1046/08). Die Karlsruher Richter bleiben damit bei ihrer Linie, den sogenannten Richtervorbehalt ernst zu nehmen und Ausnahmen wegen "Gefahr in Verzug" nur dann zuzulassen, wenn dies im Einzelfall konkret begründet wird. Ob dies aber trinkenden Fahrern das Leben und die juristischen Konsequenzen erleichtert, ist zweifelhaft. Vielerorts gelten nach ähnlichen Gerichtsentscheidungen schon jetzt strengere Regeln. Die Folge: Der Verdächtige muss warten, bis ein Richter entscheidet. "Heute dauert der Freiheitsentzug manchmal vier oder fünf Stunden", sagt Wendt. "Für uns ist es unverständlich, dass wir einen so schwerwiegenden Eingriff vornehmen müssen aus bloßem Prinzip." Wendts Lösungsvorschlag: Blutproben bei Trunkenheitsfahrten ohne weitere Folgen sollen abgeschafft werden. Stattdessen solle der Atem-Alkoholwert als Beweismittel ausreichen - so, wie es derzeit schon bei niedrigeren Alkoholwerten (in der Regel ab 0,5 bis 1,1 Promille) der Fall ist, die als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Für einen anderen Weg hatten sich mehrheitlich die Innenminister der Länder auf ihrer Konferenz Ende Mai in Hamburg ausgesprochen: Sie wollen den Richtervorbehalt bei Blutentnahmen einfach streichen. Zustimmung gibt es - auf den ersten Blick vielleicht überraschend - vom Deutschen Richterbund. "Bei der Anordnung einer Blutentnahme bleibt den Richtern in der Regel kein Entscheidungsspielraum, wenn ein Anfangsverdacht aufgrund des Atem-Alkohols besteht", sagt der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank. "Der Vorbehalt in diesem Bereich ist verzichtbar, damit hätten Richter mehr Zeit, sich den wichtigen Fällen zu widmen, etwa wenn es um Wohnungsdurchsuchungen geht." Der Deutsche Anwaltsverein hingegen lehnt jede Änderung ab. Die Blutprobe sei ein körperlicher Eingriff, der nur von einem Richter angeordnet werden dürfe, sagte Sprecher Swen Walentowski. "Rechtsstaatliche Prinzipien dürfen nicht Zweckmäßigkeitserwägungen geopfert werden." Auf überaus pragmatische Weise scheinen hingegen die Brandenburger mit dem Problem umzugehen. In der Regel, sagte ein Sprecher des Justizministeriums, würden die Alkoholsünder ihre Blutprobe freiwillig abgeben, so dass es des Richtervorbehalts nicht bedarf: "In Brandenburg ist nicht der Regelfall, dass man nach einem Richter schreit."

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