Notizen aus der Provinz: Höhere Söhne, niedere Motive

Saarbrücken. Kindheitsmuster aus der rheinischen Provinz der fünfziger Jahre. Das war das Thema von Ulla Hahns Entwicklungsroman "Das verborgene Wort". Nun begegnen wir in der ebenfalls mit gut 600 Seiten umfänglich geratenen Fortsetzung dieses Entwicklungsepos der uns vertrauten Hildegard (Hilla) Palm in der entscheidenden Phase ihrer Adoleszenz

Saarbrücken. Kindheitsmuster aus der rheinischen Provinz der fünfziger Jahre. Das war das Thema von Ulla Hahns Entwicklungsroman "Das verborgene Wort". Nun begegnen wir in der ebenfalls mit gut 600 Seiten umfänglich geratenen Fortsetzung dieses Entwicklungsepos der uns vertrauten Hildegard (Hilla) Palm in der entscheidenden Phase ihrer Adoleszenz. Hilla wechselt von der Realschule zum Aufbaugymnasium, gerät an wunderbar einfühlsame Pädagogen. Und sie verliebt sich. Nach Sigismund begegnet sie einem Fabrikantensohn, der sie heiraten und aus dem "Loch", wie er ihre elterliche Behausung respektlos nennt, herausholen will. Das ist dann aber doch zuviel für Hilla. Also bekommt der gutbetuchte Bewerber den Laufpass, Hilla hat nämlich auch ihren Stolz.

Aber es fehlt ihr doch auch an Erfahrung. So muss sie leiden, Schlimmes erfahren an Leib und Seele, im andauernden Widerstreit zwischen dem, was ihre Herkunft ihr nicht ermöglicht und dem, was sie aufgrund von Begabung und Lerneifer vom Leben erwartet. Hilla macht ihr Abitur und legt sich bei jeder Gelegenheit mit ihrer engstirnigen Familie an. All dies eingepackt in einen Teppich von rheinischem Dialekt, der zuweilen kurios daherkommt, das Authentische des Milieus unterfüttern soll. Hilla will weiterkommen, die Welt entdecken. Gegen den massiven Widerstand der Eltern. Nur Bertram, der Bruder, ist ein verlässlicher Schutzanker. Mit ihm lateinisiert sie den Alltag, angestachelt durch einen Unterricht, der ihr die Klarheit der Sprache und ihrer Grammatik auf eine begeisternde Weise zu vermitteln versteht.

Es ist dies also wieder ein autobiographischer Schicksalsroman, dessen erzählerischer Furor den Vorgänger freilich nicht erreicht. Dennoch ist alles wieder da - diese trostlosen Jahre mit ihren gebrochenen und durch den Krieg und die Schuld der Nazi-Jahre versehrten Existenzen. Allerdings wird man der Autorin nicht gerecht, wenn man sie als genuine Erzählerin der 68er Generation annonciert. Da fehlt es doch sehr an ihren Möglichkeiten. Die Aneinanderreihung von Ereignissen aus diesen Jahren bedient im Nachhinein eher Klischees als kritisches Urteil.

Hillas große Leidenschaft - das Sammeln von Steinen, die sie am Rheinufer aufklaubt - das hat sie sich bewahrt und findet auch für jede Gefühlsregung den passenden Stein. Am Ende triumphiert sie und zieht nach Köln, um Germanistik zu studieren. Mal sehen, was daraus wird. Denn sicherlich bedenkt uns Ulla Hahn mit einer Fortsetzung.

Ulla Hahn: Aufbruch. Deutsche Verlags-Anstalt, 586 Seiten, 24,90 €

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