Nicht nur Paris mauert sich ein

Brüssel · Eigentlich soll die EU ein großer freier Binnenmarkt sein. Doch die Mitgliedsstaaten halten mit Auflagen und Gesetzen unliebsame Konkurrenz von ihren heimischen Unternehmen fern.

Ausgerechnet Michel Barnier erfuhr von dem Beschluss nur am Telefon. Der französische EU-Kommissar, zu dessen Aufgaben der Ausbau des Binnenmarktes gehört, musste auf diesem Weg am Donnerstag hören, dass die Pariser Regierung neue wirtschaftliche Mauern errichten will. Mitten im Übernahmepoker um den Energie- und Bahn-Riesen Alstom sicherte Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg der Regierung weitgehende Rechte bei internationalen Firmenkäufen.

"Bewaffnung" des Staates

Sofern es um Betriebe aus den Bereichen Energie, Wasser, Verkehr, Gesundheit und Telekommunikation geht, brauchen Investoren künftig die Erlaubnis des Staates, wenn sie 33 Prozent oder mehr an einer Firma übernehmen wollen. "Dies ist eine grundlegende Wiederbewaffnung der Staatsmacht", gab sich Montebourg kämpferisch. In Brüssel kündigte Kommissar Barnier eine Prüfung an. Die französische Verordnung verstoße möglicherweise gegen das Grundrecht des freien Kapitalverkehrs sein. Barnier: "Das wäre ganz klar Protektionismus."

Doch der Protest gegen die Pläne aus Paris hält sich in Grenzen. Weder in Berlin noch Rom oder anderen Hauptstädten gab es erkennbaren Widerstand. Der Grund liegt auf der Hand: Derartige nationale Schutzmaßnahmen sind längst gang und gäbe. Auch in Deutschland, wo das Außenwirtschaftsgesetz seit 2009 der Regierung die Möglichkeit gibt, die Übernahme von mehr als 25 Prozent der Anteile an einem Konzern per Veto zu stoppen. Im VW-Gesetz wurde der Protektionismus sogar gesetzlich geregelt und von Brüssel abgesegne t.

Sehr viel verbreiteter sind jedoch andere Handelsbeschränkungen, von denen die EU-Kommission zwischen 2008 und 2013 immerhin 700 zählte, die alle nur einen Sinn haben: ausländische Konkurrenten vom eigenen Markt fernzuhalten. Der jährliche Schaden durch solche Handelsbarrieren wird in Brüssel auf 150 Milliarden Euro geschätzt, mindestens 2,5 Millionen Arbeitsplätze würden verhindert, heißt es.

Der Chef des Freiburger Centrums für europäische Politik, Lüder Gerken, weiß, wie man sich sogar unter Berufung auf das EU-Recht abschotten kann: Artikel 30 des EG-Vertrages gestattet ausnahmsweise ein Importverbot, wenn ein Produkt aus einem anderen Mitgliedstaat bestimmte nationale Schutzziele, etwa den Gesundheitsschutz, gefährden würde. "Allzu oft wird das nur vorgeschoben, um die heimische Industrie vor Konkurrenz zu schützen." Die Importeure würden zu teuren Gutachten gezwungen, die die Konformität mit den Regelungen nachweisen. Das verteure die Produkte so sehr, dass sie nicht mehr konkurrenzfähig seien. Solche Hindernisse werden munter weiter aufgestellt, obwohl die EU-Binnenmarkt-Gesetzgebung zum Gegenteil verpflichtet. Die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) übrigens auch.

Der Pariser Schachzug hat offenbar einen konkreten Hintergrund: Während die Regierung Alstom lieber in den Händen des deutschen Siemens-Konzerns sähe, neigt die Konzernführung eher dem US-Giganten General Electric zu. Genau dies will Wirtschaftsminister Montebourg aber verhindern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort