Neue Musik und Zukunftsmusik

Saarbrücken · Grenzen überschreiten – beziehungsweise zeigen, dass es diese so nicht gibt: Das möchte die Gesellschaft für Neue Musik und audiovisuelle Kunst, die sich vergangene Woche gegründet hat.

 Der Vorstand der Gesellschaft, von links nach rechts: Julien Blondel, Katharina Bihler, Sigrid Konrad, Stefan Scheib und Andreas Bayer. Stefan Zintel und Benedikt Fohr fehlen auf dem Bild. Foto: Krämer

Der Vorstand der Gesellschaft, von links nach rechts: Julien Blondel, Katharina Bihler, Sigrid Konrad, Stefan Scheib und Andreas Bayer. Stefan Zintel und Benedikt Fohr fehlen auf dem Bild. Foto: Krämer

Foto: Krämer

Die neugegründete Gesellschaft ist der direkte Nachfolger des Netzwerk Musik Saar, das sich im Oktober 2013 zwecks Neuorientierung aufgelöst hatte. In der Übergangszeit baten ehemalige Netzwerker an einen runden Tisch, um die Vermittlung Neuer Musik sowie bildkünstlerischer Formate, die mit Raum und Klang arbeiten, neu zu überdenken. "Die hiesige Szene ist sehr rege, aber es fehlt an Struktur", sagt Sigrid Konrad, Vorstandsmitglied und Leiterin des Saarbrücker Pfau-Verlags für Neue Musik. Beim Koordinieren und Organisieren von Konzerten sollen nun nicht nur Genre-, sondern auch Landesgrenzen überschritten werden. So kooperiert man mit Institutionen und Musikern aus der Großregion und hat bereits Fühler ausgestreckt zum Metzer Arsenal, der Luxemburger Philharmonie und der freien Trierer Szene.

Außerdem, sagt Konrad, gelte es im Saarland einige Komponistennachlässe zu klären. Auf der Wunschliste steht daher auch die Schaffung eines regionalen Musikarchivs, das sich nicht auf Zeitgenössisches beschränken soll. Doch das ist Zukunftsmusik: Zur Finanzierung müssen erst entsprechende Mittel akquiriert werden.

Institutionelle Mitglieder hat die neue Gesellschaft keine; im Vorstand sitzen außer Konrad derzeit Andreas Bayer und Stefan Zintel (Hochschule der Bildenden Künste Saar), Katharina Bihler, Stefan Scheib und Julien Blondel ("Liquid Penguin Ensemble", "Hors du cadre") als Vertreter der freien Szene sowie Benedikt Fohr (SR). Fohr, Orchestermanager der Deutschen Radio Philharmonie (DRP), war zuletzt künstlerischer Leiter des Neue-Musik-Festivals "Mouvement", das der SR 2011 nach 41 Jahren eingestampft hatte. Nun führt es die Gesellschaft für Neue Musik und audiovisuelle Kunst in Form einer ganzjährigen Reihe fort - unter fast gleichem Namen, ergänzt um ein Plural-s.

Mangels eigener Fördertöpfe läuft die Finanzierung von "Mouvements - Aktuelle Musik in Saarbrücken" über die Partner der Reihe: SR, DRP, HfM, HBK, Saarlandmuseum, KuBa-Kulturzentrum, Saarländisches Künstlerhaus, Kino achteinhalb und die Saarbrücker Stadtgalerie. Dort hatte die Gesellschaft am Donnerstag bei ihrer Gründungsveranstaltung zu einem Podiumsgespräch unter Leitung des ehemaligen SR-Redakteurs Wolfgang Korb geladen. Er diskutierte mit den Komponisten Hans Zender, Claude Lenners und Arnulf Hermann (HfM) und dem Dirigenten Peter Hirsch über den Begriff "Variationen" im Kompositionsschaffen. Anlass war die Aufführung von Zenders Orchesterfassung der "33 Veränderungen über 33 Veränderungen" - siehe Kritik rechts. Das Programm der Deutschen Radio Philharmonie (DRP) füllte den Sendesaal auf dem Halberg gut zur Hälfte, als Luigi Dallapiccolas "Variazioni per orchestra" von 1954 über die Bühne gingen. Eine fein konstruierte Zwölftonmusik mit Gedanken an B-A-C-H. Unter der kompetenten Leitung von Peter Hirsch ließen die Philharmoniker farbig abwechslungsreiche Linien und Figuren vorüberziehen, die eine Viertelstunde aufmerksamen Hörens ermöglichten. Kurz und weniger aussagekräftig war die Uraufführung eines Gitarrenkonzertes "Emerge, expláyate" des jungen Julián Quintero Silva, in dessen zehn Minuten der Solist Christopher Brandt nicht viel zu tun hatte. Anreger war Scarlatti mit seiner d-moll-Sonate, die in den Orchestertuttis aufschien, deren zeitweise Reduzierungen dem Soloinstrument geschickt akustischen Raum für kurze Formulierungen ließen. Die Arbeit eines jungen Ecuadorianers, der in Old Germany die aktuelle Musiksprache studiert.

Hauptwerk und mit 60 Minuten in Brucknerlänge waren "33 Veränderungen über 33 Veränderungen" von Hans Zender, den Beethovens Diabelli-Variationen für Klavier zu deren Veränderung inspiriert haben. Die deutsche Erstaufführung der Orchesterfassung zeigte Instrumentationskunst und durchdachte Spielfreude. Das Geschehen pendelte vom schieren Original bis zu seiner totalen Zertrümmerung und Unkenntlichkeit. Kaum hatte man Beethoven geortet und aufgeatmet, entstand neuer Druck durch radikale Veränderung. Fraglich mag sein, ob Beethoven einer Bearbeitung aus heutiger Sicht bedarf. Doch Zender sagt, unsere Zeit ist so "kompliziert und schwierig", dass es auch ihre Musik sein muss.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort