Nerven, die zusammenbrechen

Saarbrücken · In seiner Heimat Argentinien hat der Film „Wild Tales“ einen Nerv getroffen und die Kinos gefüllt. Jetzt erscheint der schwarzhumorige Episodenfilm bei uns als DVD.

 Érica Rivas als betrogene Braut in der letzten Episode. Foto: Prokino

Érica Rivas als betrogene Braut in der letzten Episode. Foto: Prokino

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Muss man sich Sorgen machen um Argentinien? Denn falls der Episodenfilm "Wild Tales" ein Porträt seines Entstehungslandes sein sollte, muss einem Schlimmes schwanen: ein Land am Rande des Kollapses, bevölkert von Menschen kurz vor dem Nervenzusammenbruch, getrieben von Rache, Habsucht und Aggression, die unter der Oberfläche dem Siedepunkt entgegen dampfen.

Das klingt nun nach Problemfilm, "Wild Tales" ist aber eine äußerst unterhaltsame, tiefschwarze Komödie; sechs abgeschlossenen Geschichten hat Damian Szifrón geschrieben und inszeniert, in denen es grundlegend um Rache und Vergeltung geht. Da ist ein Autobahndrängler in der Luxuskarosse, der sich über einen Mann in langsamer Rostlaube lustig macht - und das schnell bitter bereut in einer Episode, die sich konsequent und makaber in den Wahnsinn steigert. Da ist eine Kellnerin, die im Gast ihres Restaurants einen Mafioso wiedererkennt, der einst ihre Familie vernichtete. Was tun? Die Kollegin legt ihr das Nachwürzen mit Rattengift nahe. Und da ist ein Sprengmeister, der wegen seiner Rebellion gegen die Stadtverwaltung nach einem ungerechtfertigten Knöllchen unverhofft vor den Scherben seiner bürgerlichen Existenz steht.

Nicht nur um makabren Schrecken geht es dem Film, "Wild Tales" zeigt den Staat immer wieder auch als Großmacht, der man ausgeliefert ist, wenn man sich nicht zur Elite zählen kann. Der Sprengmeister rebelliert vergebens gegen eine ignorante Verwaltung, während in einer anderen Episode ein Schwerreicher versucht, seine Krise mit Geld zu lösen: Sein Sohn überfährt eine Frau und begeht Fahrerflucht - schnell überredet der Vater mit viel Geld den Gärtner der Familie, sich als Unfallfahrer auszugeben und ins Gefängnis zu gehen (es kommt dann ganz anders).

Schnörkellos inszeniert und exzellent gespielt, liegt der größte Reiz des Films darin, wie nah die bizarren Episoden an unserem Leben liegen: Es reicht nur ein kleiner Schubs des Schicksals, um den Alltag in ein moralisches Chaos zu verwandeln. Nur bei der ersten Episode des 2014 gedrehten Films wird man sich als Zuschauer schwer tun - sie ähnelt zu sehr dem Absturz der Germanwings-Maschine in diesem März.

Erschienen bei Prokino.

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