Nebulöses über den Frieden im Nahen Osten

Jerusalem · Analyse US-Präsident Donald Trump verabschiedet sich vom klaren Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt. Doch eine Alternative hat er nicht.

Ein paar Siedlungen weniger wünschte sich US-Präsident Donald Trump im Verlauf der gemeinsamen Pressekonferenz, die er am Ende des ersten Gesprächs mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu am Mittwochabend in Washington gab. Aber es solle keine Vorbedingungen für einen Frieden geben. Das bedeutet grünes Licht für die Israelis, in den besetzten Palästinensergebieten fast alles zu tun, wonach ihnen das Herz steht, ohne den mahnenden Zeigefinger aus Washington fürchten zu müssen. Trotzdem schien Netanjahu nicht sofort die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen, um der seit Jahren von der internationalen Gemeinschaft favorisierten Zwei-Staaten-Lösung den Gnadenstoß zu verabreichen. Denn Netanjahu hat kein Ersatzprogramm. Eine Ein-Staaten-Lösung - ein Israel für Israelis und Palästinenser zusammen - wäre entweder das Ende des jüdischen oder des demokratischen Staates, in dem die arabisch-muslimische Bevölkerung eine gleichberechtigte Stimme hätte. Beides ist eigentlich keine Option für Netanjahu.

Für Netanjahu sind zudem nicht die Palästinenser das größte Problem, sondern der Iran. Mit einer deutlichen Absage an Palästina würde er Partner vergraulen, die seine Sorge vor dem erstarkenden Iran teilen. Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien stehen in der Iran-Frage auf derselben Seite wie Israel. Die sunnitischen Staaten würden nur allzu gern kooperieren, wäre da nicht das Palästinenserproblem. Netanjahu müsste ein Signal setzen, dass ihm am Frieden mit den Palästinensern liegt. Mit den sunnitisch-arabischen Staaten an seiner Seite wäre er in seiner Position gegenüber den Palästinensern wiederum gestärkt. Eine Abkehr von den zwei Staaten würde hingegen beides - die Kooperation mit den Nachbarstaaten gegenüber Iran und eine Einigung mit den Palästinensern - illusorisch werden lassen.

Wer ohne Abstriche über die neue US-amerikanische Nahostpolitik jubelt, ist Naftali Bennett, der Chef der israelischen Siedlerpartei. Anders als Netanjahu ist Bennett klar mit seiner Vision. Er twittert über die "neue Ära", über "neue Ideen", gratuliert zum "großen Tag für Israelis und vernünftige Araber". Jedermann verstehe nun, dass es "keine Notwendigkeit für einen dritten palästinensischen Staat außer Jordanien und Gaza gibt". Mit dem von ihm als Freifahrtschein verstandenen Signal aus Washington wird Bennett mit voller Kraft sein stets erklärtes Ziel vorantreiben: die Annexion von rund der Hälfte des Westjordanlandes. Ein paar zigtausend Palästinenser leben dort, die können israelische Staatsbürger werden - vorausgesetzt sie schwören auf den jüdisch-demokratischen Staat - der Rest soll sehen, wo er bleibt.

Nebulös ist nach wie vor, was Trump und Netanjahu meinen, wenn sie vom Frieden reden. Welche Zugeständnisse hatte der neue Chef im Weißen Haus vor Augen, als er seinem Gast mit Augenzwinkern signalisierte, dass er Flexibilität von ihm erwarte? Netanjahu tut gut daran, Vorsicht zu wahren und seine euphorischen Koalitionspartner von der Siedlerpartei im Zaum zu halten. Jetzt ist Trump der mächtigste Mann auf Erden, aber das wird er nicht immer sein. Zudem erwies sich der neue US-Präsident in der kurzen Zeit seit seiner Amtsübernahme als ein wenig verlässlicher Partner. Sein Versprechen, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, entpuppt sich als heiße Luft. Netanjahu darf sein Schicksal nicht in die Hände eines Mannes legen, der heute das eine sagt, um morgen das andere zu tun.

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Zwei-Staaten-Lösung Die von den USA bisher verfolgte Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt sieht die Bildung eines muslimisch-arabisch geprägten Staates auf dem Gebiet des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens vor. Israel bliebe daneben als Staat mit deutlicher jüdischer Bevölkerungsmehrheit.

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