ZF Saarbrücken plant Zukunft ohne Getriebe

Saarbrücken · Der ZF-Konzern will in zehn bis 15 Jahren im Saarland kaum noch Getriebe bauen. Immer weniger Autos seien künftig mit Verbrennungsmotoren und Getrieben unterwegs. Stattdessen soll Saarbrücken Produkte für Elektromobilität fertigen.

 In Schweinfurt hat ZF bereits ein Zentrum für Elektromobilität eingerichtet. Foto: ZF

In Schweinfurt hat ZF bereits ein Zentrum für Elektromobilität eingerichtet. Foto: ZF

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Es gibt Gradmesser für Veränderungen. 30 000 Initiativbewerbungen hat ZF bisher jährlich bekommen. Gestern musste Standortleiter Hermann Becker einräumen, dass diese Welle etwas abgeebbt ist. Seit Monaten machen im Saarland Gerüchte die Runde, ZF werde erstmals in der Unternehmensgeschichte Schichtzulagen streichen, Löhne kürzen und womöglich große Teile der Produktion ins Ausland verlegen, weil es dem Standort Saarbrücken nicht mehr so gut gehe.

Gestern sorgte das ZF-Management in einer Betriebsversammlung und vor der Presse für Klarheit. Demnach soll der Standort Saarbrücken als wichtigstes Werk im Konzern erhalten bleiben, jedoch komplett umgebaut werden. Der Schwerpunkt der Getriebeproduktion soll schon bald der Vergangenheit angehören. Im Zeitraum der nächsten zehn bis 15 Jahre will man die Getriebeproduktion nahezu einstellen und stattdessen Produkte für die Weltmärkte produzieren, die für die Elektromobilität gebraucht werden. Die Elektromobilität mit Fahrzeugen, die keine Getriebe mehr brauchen, werde die Weltmärkte aus der Sicht von ZF deutlich früher als bisher gedacht beherrschen.

Zu den neuen Produkten, die künftig aus Saarbrücken für die internationalen Märkte produziert werden sollen, könnten beispielsweise Antriebsstränge gehören. Es sei aber noch zu früh, die genaue Produktpalette festzuzurren. ZF wolle sich frühzeitig auf die Veränderungen einstellen und zum Systemlieferanten werden. "Google macht vor, wie es künftig geht. Die entwickeln eigene Autos, die auch noch autonom fahren und frei von CO{-2} sind. Die Mitfahrer bringen ihre Smartphones samt Inhalten mit und sind im Fahrzeug umfangreich elektronisch vernetzt", sagte Bernd Stockmann, ZF-Divisionsleiter für Pkw-Antriebstechnik in 22 Werken. Die Ansprüche der Autofahrer und speziell der jungen Generation änderten sich immer schneller.

Stockmann erwartet in den kommenden fünf bis zehn Jahren Weichenstellungen, die die Elektromobilität endgültig aus ihrer Nische führen. Dazu gehöre ein deutlicher Ausbau der Ladestationen, verbunden mit deutlich leistungsfähigeren Batterien, die auch lange Strecken ermöglichen. Hybrid-Fahrzeuge seien heute schon ein Zwischenschritt auf dem Weg zur vollen Elektromobilität.

ZF könne innerhalb dieser Entwicklungen zum Systemlieferanten für Autohersteller und auch für Google werden. Der Zukauf der TRW-Gruppe ermögliche auch den Einbau von Sicherheitstechnik in die Fahrzeuge. Dies alles könne ZF inklusive dem Standort Saarbrücken die Marktführerschaft auf völlig neuen Gebieten bringen. Eigene Autos werde man aber auch künftig nicht produzieren.

Im Gegenzug für klare Zukunftsperspektiven am Standort Saarbrücken erwartet das Management weitere deutliche Kostensenkungen. "ZF war in der Vergangenheit bekannt als Technologieführer. Wir müssen aber auch Kostenführer sein. Nur beides zusammen geht", stellte Ralph Bast klar, zuständig für den Bereich Business Unit Automat-Getriebe.

Nach Ansicht von Standortleiter Hermann Becker sind die bisherigen Möglichkeiten weitgehend ausgeschöpft - mit Ausnahme der Personalkosten. Das Management erwartet geringere Tariferhöhungen, in denen freiwillige Leistungen des Unternehmens verrechnet werden. Neue, günstigere Schichtmodelle sollen entwickelt werden, in denen beispielsweise bestimmte Zeiten am späteren Abend nicht mehr zuschlagpflichtig sind. Auch soll bei Bedarf samstags und sonntags günstiger gearbeitet werden. Bis Weihnachten will man sich mit den Arbeitnehmervertretern geeinigt haben.

Wolfgang Schuler, der Betriebsratsvorsitzende, war gestern nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Meinung:

Zeitenwende bei ZF

Von SZ-Redakteur Thomas Sponticcia

Branchenbeobachter wundern sich schon lange, wieso es bei ZF in Saarbrücken bisher so ruhig war. Renommierte Autohersteller wie Tesla stellen schon Autos her, die keine Getriebe mehr brauchen. Dies sind zwar erst Anfänge, und sie finden noch in teuren Luxusfahrzeugen statt. Doch diese Entwicklung wird in den kommenden Jahren deutlich an Fahrt aufnehmen, wobei noch niemand verlässlich sagen kann, ob es noch zehn, 20 oder 30 Jahre dauert, bis auch mittelgroße und kleine Fahrzeuge in Serie mit der neuen Technologie ausgestattet werden. Autos also, die sich auch "Otto Normalverbraucher" leisten kann. ZF leitet in seinem wichtigsten Werk in Saarbrücken jetzt schon die "Zeitenwende" ein, nimmt dafür auch viele Risiken in Kauf. Denn die Getriebeproduktion läuft noch gut. Aber wie lange noch? Es ist besser, sich an die Spitze einer Entwicklung zu stellen, die nicht aufhaltbar ist, als am Ende ein Sanierungsfall zu werden, weil man den Trend verschlafen hat. Dies wollen weder die ZF-Unternehmensführung noch die Arbeitnehmervertreter. Doch für die Mitarbeiter wird es auch schmerzliche Einschnitte geben - mit wohl geringeren Lohnerhöhungen und flexibleren Arbeitszeiten. Das ist der Preis für den Umbau und bitter, aber besser, als ZF Saarbrücken früher oder später zu schließen.

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