Willkommen in der virtuellen Welt des Geldes

Saarbrücken · Paul Schreyer, freier Journalist und erfolgreicher Sachbuchautor („Wir sind die Guten“), wird in Bankenkreisen vermutlich bald als Verschwörungstheoretiker tituliert, um damit seine neuen, unliebsamen Recherche-Ergebnisse abzutun. Sein Buch „Wer regiert das Geld?“ enthält einigen Sprengstoff. Bringt es doch Licht ins Dunkel der heutigen Finanzsysteme und erklärt Mechanismen, über die Banken wie Politik lieber schweigen.

 Die EZB in Frankfurt (Foto) ist zwar Herr des Papiergeldes, das ungleich wichtigere Giralgeld aber kann jede Bank erzeugen. Foto: dpa

Die EZB in Frankfurt (Foto) ist zwar Herr des Papiergeldes, das ungleich wichtigere Giralgeld aber kann jede Bank erzeugen. Foto: dpa

Foto: dpa

Mehr als 50 Milliarden Euro haben die Bankenrettungen nach dem großen Börsen-Crash 2008/09 (Lehman-Pleite) die deutschen Steuerzahler alleine bis Ende 2015 gekostet. Woher kam all das Geld plötzlich? Paul Schreyer erinnert zu Beginn seines Buches daran, dass damals in kürzester Zeit ein staatlicher "Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung" (SoFFin) mit einer Garantiesumme von 400 Milliarden Euro eingerichtet wurde. Eine astronomische Summe, höher als der gesamte Bundeshaushalt (280 Milliarden Euro) und als "Nebenhaushalt" geführt. Um in Schieflage geratene Geldinstitute wie die Commerzbank und die Hypo Real Estate zu retten, zahlte der Bund - wie Recherchen des Berliner "Tagesspiegel" offenbarten - 100 Milliarden Euro an internationale Großbanken, die in die Hypo Real Estate und andere investiert hatten.

Aufräumen mit Irrtümern

Das Geld kam von der "Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH", die es sich am Kapitalmarkt lieh, indem sie (wie auch heute noch Woche für Woche) für einen handverlesenen Bankenkreis Auktionen zum Verkauf von Bundesanleihen ansetzte. Der Club dieser in der "Bietergruppe Bundesemissionen" vereinten Gläubiger Deutschlands umfasst Schreyer zufolge 37 Investoren, alles Großbanken von Goldman Sachs über Barclays bis zur Commerzbank. Womit sich der Kreis schließt: Hatte der Staat die Commerzbank nicht selbst gerettet? Um sich anschließend bei ihr zu verschulden?

Die maßgebliche Qualität von Schreyers investigativer Recherche besteht darin, mit einigen weit verbreiteten Grundirrtümern aufzuräumen. Etwa der Vorstellung, dass die Europäische Zentralbank alleiniger Hüter des Geldes in der Euro-Zone ist. Zwar darf nur sie Geld drucken. Doch macht der Bargeldverkehr nicht mal mehr 20 Prozent des heutigen Kapitalverkehrs aus. Mehr als 80 Prozent entfallen auf das "Giralgeld", das auf Girokonten liegt und von Banken nach Belieben (!) erzeugt werden kann - ohne realen Gegenwert. Es existiert, wie Schreyer schreibt, "lediglich als Ziffer im Buchungssystem". Ein Beispiel: Nimmt ein Bankkunde 100 000 Euro auf, trägt die Bank den Kredit einfach als dessen neues Guthaben in ihr Buchungssystem ein. Entscheidend dabei ist: 1) Kein anderes Bankkonto wird um diesen Betrag belastet. 2) Geld aushändigen muss die Bank nur, sofern der Schuldner die 100 000 Euro bar abheben möchte, was kaum vorkommt. Allerdings erklärt dies Bestrebungen der Finanzwirtschaft, den Bargeldverkehr ganz abzuschaffen. 3) Wird der Kredit zurückgezahlt, verschwindet er, Rate für Rate, einfach wieder aus dem Buchungssystem. Kurzum, Privatbanken können zwar nicht einfach Geld drucken, es aber per (Buchungs-)Knopfdruck erzeugen. Auch wenn dieses Kapital quasi "aus dem Nichts" geschöpft wird, ist es echt: Der Kreditnehmer kann mit den 100 000 Euro seinen Hausbau vorantreiben.

Wieso aber, fragt man sich, können Banken nach Belieben Geld schöpfen? Weil das auf Girokonten liegende Geld - anders als bei Wertpapieren der Fall, die treuhänderisch, sprich bilanztechnisch getrennt, verwahrt werden - in ihre Geschäftsbilanz einfließt. Ganz so, als gehöre es der Bank selbst. "Nur aufgrund dieser erlaubten Vermischung können Banken überhaupt Geld schöpfen, ohne dass es auffällt und ohne dass man es in ihrer Bilanz ablesen kann", so Schreyer. "Jede Zahl im System ist wie echtes Geld." Ziemlich praktisch für Banken. Anders als gemeinhin angenommen, finanzieren sie unsere Kredite also nicht aus ihrem Vermögen.

Das heutige Finanzsystem vollzieht sich nicht nur an der Börse weitgehend virtuell. Selbst bei einer Überweisung wird kein Geld transferiert, sondern laut Schreyer lediglich "ein Versprechen auf Auszahlung von Bargeld". Könnte, fragen wir Laien uns, ein Geldinstitut, das viele Kredite vergibt, so nicht schnell ausbluten, weil ihr frisch erzeugtes Geld ja zumeist an andere Banken weiterfließt? Die Handwerker, die unser 100 000 Euro-Kreditnehmer bezahlen muss, haben ihre Konten nicht unbedingt bei derselben Bank. Dass dies nicht passiert, hat Schreyer zufolge vor allem zwei Gründe: 1) Banken müssen Reserven bilden, mit denen unter anderem Zahlungsströme zwischen Geldhäusern verrechnet werden. 2) Dieser "Interbankenhandel" funktioniert als sich selbst regulierendes System, in dem entstandene Defizite unter den Banken sich mit der Zeit wieder ausgleichen.

Jonglieren mit dem Giralgeld



Interessant sind Schreyers Folgerungen aus dem Jonglieren der Banken im Reich des bargeldlosen Zahlenverkehrs: Wenn Banken etwas kaufen und dazu das Konto des Verkäufers (per Knopfdruck) erhöhen, erhalten sie im Gegenzug reale Waren, Immobilien und Dienstleistungen. Angenommen Bank A kauft zwölf Audi A8 für die Vorstandsetage, so trägt sie dem Verkäufer eine Million Euro auf dessen Konto ein. Der wiederum überweist sie gegebenenfalls auf Konten von Bank B, die wiederum zwölf Mercedes-Limousinen anschafft, woraufhin die Million womöglich auf Konten der Bank A zurückwandert. Nicht schlecht: Beide Banken hätten je zwölf Limousinen umsonst bekommen. Ganz so einfach ist es im wirklichen Bankenleben zwar nicht, schreibt Schreyer, prinzipiell funktioniere die Finanzwirtschaft als solches Kompensationsgeschäft. Nach dieser Logik wäre der Schuldenschnitt eines bei Großbanken verschuldeten Staates im Idealfall ein Nullsummenspiel, führt Schreyer aus: Gesetzt den Fall, allen Gläubigerbanken gehörte "ein gleich großes Stück vom ,Schuldenkuchen', dann ist die Streichung der Schulden komplett kostenneutral für die Banken".

Inzestiöse Verhältnisse

So illustrativ Schreyers Beispielrechungen sind, durch ihre Pauschalisierungen wird die Plausibilität seiner Einsichten angreifbar. Dennoch ist "Wer regiert das Geld?" (nicht zuletzt auch wegen Schreyers aufschlussreichem historischen Abriss unseres Geldsystems) ein erhellender Crashkurs in Sachen Finanzwirtschaft. Weil er das inzestiöse Verhältnis von Wirtschaftsprüfungskonzernen und Politik/Banken offengelegt. Und verdeutlicht, dass die IFRS-Stiftung ("International Financial Reporting Standards"), die gemeinsam mit dem IASB ("International Accounting Standards Board") die Regeln der internationalen Bilanzierung festlegt, maßgeblich von den führenden Wirtschaftsprüfungskonzernen (PwC, KPMG, Ernest & Young) finanziert wird. Die Global Player kontrollieren sich also selbst. Ein Skandal. Schreyers Fazit ist alarmierend: "Alle kennen sich, bezahlen sich, fördern sich, im Strudel einer außer Kontrolle geratenenen Globalisierung." Die Politik ist weitgehend zum Erfüllungsgehilfen der internationalen Finanzwirtschaft degeneriert. Die EU-Finanzminister segneten nur ab, "was der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank schon vorher beschlossen haben". Die wiederum seien "Sachwalter der großen Banken". Die demokratische Kontrolle ist bei alledem verloren gegangen.

Die Lösung, die Schreyer propagiert, bestünde darin, den Geschäftsbanken die Möglichkeit der Geldschöpfung zu nehmen und die EZB nicht nur zum Hüter über das Papiergeld, sondern auch über das Giralgeld zu machen. Doch dieses Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen.

Paul Schreyer: Wer regiert das Geld? Banken, Demokratie und Täuschung. Westend Verlag, 224 Seiten, 17,99 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort