Willkommen in der Manege des Todes

Saarbrücken · Zwei famose Festival-Aufführungen gab es am Dienstag: einmal das knapp 20-minütige „Dans l'atelier“ (siehe zweiter Text) mit packender Marionetten-Spielkunst. Und „Dark Circus“, visuelles Theater voller Ideen und Lust am Erzählen.

 Jean-Baptiste Maillet, eine Hälfte von Stereoptik, begleitet an den Keyboards ein Bild, das sein Partner Romain Bermond gerade erschafft – aus Sand, einer Leuchtfläche und Pappfiguren. Foto: Oliver Dietze

Jean-Baptiste Maillet, eine Hälfte von Stereoptik, begleitet an den Keyboards ein Bild, das sein Partner Romain Bermond gerade erschafft – aus Sand, einer Leuchtfläche und Pappfiguren. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Ist die Rente nun sicher oder nicht? In diesem Zirkus ist das wurscht, denn man erlebt sie ohnehin nicht - zumindest nicht als Artist, denn die sterben weg wie die Fliegen. Ob nun die Trapezkünstlerin Anika Kourgikourva, die netzlos gen Manegenboden saust, der Dompteur Mexico Perez, der im Magendarmtrakt eines Löwen landet, oder Tony Batista, der Partner der Messerwerferin May Wang, dessen Herzmuskel punktgenau aufgespießt wird.

Den Namen "Dark Circus" trägt dieser Artistenbetrieb also nicht zu Unrecht; "Dark Circus" heißt auch das Stück, ein Abgesang und eine Zirkus-Liebeserklärung gleichermaßen, die am Dienstag und gestern in der Alten Feuerwache zu sehen war. Diese deutsche Erstaufführung wurde bejubelt, kein Wunder: Romain Bermond und Jean-Baptiste Maillet, beide Musiker und bildende Künstler, feiern mit ihren Trick-, Papp- und Scherenschnittfiguren ein visuelles Fest, befeuert von der Lust an Bildern und ihrer Erschaffung und am Fabulieren.

Eine große Leinwand steht zwischen den Künstlern, jeder hat seine Bastel-Kreativecke; Maillet sitzt inmitten von Musikinstrumenten, Bermond steht an einem Tisch mit Kameras, Folien, Papierfiguren und einer leuchtenden Glasfläche. Was hier passiert, wird an die Leinwand der Feuerwache projiziert - und es passiert viel: Zur Begleitung von Maillet, der kleine Musikfragmente aufnimmt, verdoppelt, übereinander legt, skizziert Bermond die Welt dieses schwarz-weißen Zirkus: Erst zeichnet er ihn, dann verdunkelt Sand, den er auf seinen Leuchttisch streut, den Himmel, bevor Bermond aus dieser Sandfläche mit zwei, drei Wischbewegungen die Außenansicht des Zirkus erschafft - ein paar Fingerspitzentupfer im Sand später sind wir mitten drin in der Manege, wo ein Direktor (eine Papierfigur) seine Attraktionen ankündigt; angesichts der niedrigen Lebenserwartung seiner Kollegen sind seine teerschweren Augenringe nur zu verständlich.

Die menschliche Kanonenkugel Georg Smith wird, wohl durch zu viel Schießpulver, ins All geschossen, dreht als kreischender Satellit eine Runde um die Erde, um dann mit lautem "Bumm" (aus Maillets Schlagwerk) tödlich zu landen. Der Tod des Dressurreiters Giri Obrousky beginnt mit einem (etwas zu langen Exkurs) aus der Manege, bei dem Stereoptik einen vorab produzierten Trickfilm in live gezeichnete Szenerien einbindet. Herrlich.

Das eigene Beobachten des Künstlers bei der Arbeit, das Erkennen der Beziehung zwischen dem emsigen Gefummel in den Bastelecken und den wundersamen Bildern auf der Leinwand, ist enorm reizvoll. Als Zuschauer dreht man den Kopf noch öfter als bei einem Tennisspiel, um abwechselnd zu sehen, was gerade als Bild projiziert wird und wie die beiden Herren das produzieren: mit Buntstift, Zeichenkohle, Farbfolien, Schattenspielen und gar Wasserreflexionen, die kopfüber an die Wand gestrahlt werden. Allein das Schicksal des Dompteurs ist ein Kabinettstückchen, ist dessen Kopf doch eigentlich der Kopf von Maillets Gitarre (und deren Saiten sind das Gitter des Löwenkäfigs).

Nach dem Tod des letzten Artisten - Jongleur Joe wird von seiner einzigen, aber offensichtlich sehr schweren Kugel erschlagen - kommt Farbe in diesen vormals schwarz-weißen Zirkus, er feiert die große Auferstehung, die Musik wird tanzbar, die Nummern überlebbar, der vormals tödliche Löwe zur funky Kuschelkatze. Da droht "Dark Circus", nach der schwarzhumorigen Atmosphäre zuvor, ein wenig zu gefällig zu werden - das nimmt diesem famosen Abend aber nichts. Er ist ein riesiges Vergnügen. Was denn - so schnell vorbei? Knapp 20 Minuten dauert "Dans l'atelier" und wirkt eher halb so lang. So flott und wendungsreich schnurrt diese Geschichte (am Dienstag und gestern im Zirkuszelt) mit dem belgischen Tof Théâtre ab, dass es eine helle und eben etwas zu kurze Freude ist. In einer kleinen Werkstatt, zwischen Kartons, einem alten Radio und fast so alten Pinseln, erwacht eine kopflose Jacke zum Leben - sie tastet mit ihren Handschuhhänden umher, findet einen Styroporwürfel und beginnt, sich daraus einen Kopf zu basteln. Zwei gemalte schwarze Kreise reichen als Augen eines Provisoriums aus; der "richtige" Kopf steckt noch im Schraubstock - und kreischt vor Schmerz, als er mit einer Säge zugeschnitten wird. Zwei Köpfe also, mit jeweiligem Eigenleben und Überlebenswillen. Das endet böse (und makaber).

Angela Malvasi und Emilie Moreau sind die furiosen Figurenspielerinnen in diesem Stück von Alain Moreau; stets sieht man sie unverborgen bei der Arbeit, und doch entwickeln die beiden Köpfe auf der Bühne ein von ihnen losgelöstes Eigenleben. Besonders, als die Marionetten mit einem beherzten Sprung auf die Meta-Ebene die Spielerinnen als solche erkennen, sie mal herzen, mal bedrohen. Diese Geschichte um Rivalität und Gewalt packt viel hinein in ihre 20 Minuten, deren Finale drastisch ausfällt: Wie geht man um mit einer rabiaten Marionette, die sich mit Hitlerschnurrbart schmückt und Befehle bellt? Manchmal helfen eben nur Knallfrosch und Akkubohrer.

Heute: "Ibsen: Gespenster" um 21 Uhr in der Alten Feuerwache; "Hate Radio" um 19 Uhr im Ex-Citroen Autohaus (Sb).

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort