Wieviel Krieg darf's denn sein?
Saarbrücken · Gefördert mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes hat das Saarländische Staatstheater (SST) mit der Berliner Tanz- und Performancegruppe MS Schrittmacher ein zweijähriges Rechercheprojekt zum Thema Krieg aufgelegt, an dessen Ende eine Theaterproduktion stehen wird. Teil des Projekts sind Diskussionsforen. Wenn sie weiterhin so ergiebig verlaufen wie die Feuerwachen-Runde am Sonntag, lässt sich Einiges erwarten.
In Kriegszeiten ist Töten erwünscht. Wie auch immer man die Ursachen kriegerischer Konflikte bewerten mag - allen gemeinsam ist die Umkehrung des zivilisatorischen Grundsatzes, demzufolge Töten keine Maxime unseres Handelns ist. Zu Beginn der Diskussionsrunde am Sonntag in der Alten Feuerwache erinnerte die moderierende SST-Chefdramaturgin Ursula Thinnes daran, dass rund 14 400 Kriege geführt worden sind, bei denen angeblich 3,5 Milliarden Menschen ihr Leben verloren haben. Statistisch betrachtet starb also seit den Anfängen der Menschheit jeder Dreißigste im Krieg.
Mitten im Heute war man nicht erst angekommen, als die Diskutanten im letzten Drittel des ergiebigen Abends argumentativ in die Ziellinie bogen und sich dem Kernthema "Zukunft des Krieges" widmeten. Namentlich Constanze Kurz (Sprecherin des Hamburger ChaosComputerClubs und Autorin der Kolumne "Aus dem Maschinenraum" im Feuilleton der "FAZ"), Jochen Hippler (Terrorismusforscher und Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen) und Andreas Zumach (Journalist und Völkerrechtsexperte). Hippler konzidierte, dass "99 Prozent heute hausgemachter Terrorismus" sei. Made in West: Die Täter seien hier aufgewachsen und hätten sich hier radikalisiert.
Kriege ließen sich in diesen technoiden Zeiten schneller, mittels Hightech-Waffen klinischer und "ungleich asymmetrischer" (Kurz) führen, war sich die Runde einig. Während früher Diktaturen Hauptabnehmer von Überwachungstechnologie waren, seien dies heute die Demokratien des Westens. Constanze Kurz erinnerte daran, dass im Zuge des von Edward Snowden ausgelösten NSA-Skandals ans Licht kam, dass sich das Budget der 17 US-Geheimdienste alleine 2014 auf 54 Milliarden Euro belief. Mit Blick auf heutige Cyber-War-Aktivitäten, die mit herkömmlichen Kriegen nichts (nicht mal Tote) gemein haben, lenkte Hippler auf die weitreichenden Folgen der Definitionsunschärfe des Kriegsbegriffs in der UN-Charta: "Wenn wir einen Cyber-War Krieg nennen, besteht ein völkerrechtliches Recht zur Selbstverteidigung und Vergeltung - auch mit traditionellen militärischen Mitteln." Zumach und Kurz erinnerten daran, dass dabei häufig nicht mehr auszumachen sei, wer überhaupt gegen wen "Krieg" führe. Ungeklärt etwa ist bis heute, wer hinter dem Hacker-Angriff auf den Bundestag vom Mai 2015 stand.
Mit einiger Sachkenntnis schlugen Zumach und Hippler den Bogen vom militärisch-industriellen Komplex zu maßgeblichen Kriegskonflikten unserer Zeit. Ihre Folgerung blieb hängen nach zwei Podiumsstunden: Überall zeigt sich, dass technische Überlegenheit letztlich nicht kriegsentscheidend ist. Machthaber lassen sich zwar mittels Drohnen & Co schnell aus dem Weg räumen (ob Saddam in Irak oder Ghaddafi in Libyen), nicht aber Gesellschaften befrieden. Siehe das Vietnam-Trauma der USA, das die Russen ganz ähnlich in Afghanistan (und die USA zuletzt im Irak) erfahren haben. "35 000 bärtige Analphabeten mit Kalaschnikows" (Hippler) hätten in der Blütezeit des Kalten Krieges in Afghanistan Weltmächten Paroli bieten können. Insbesondere die Weltpolizei USA habe vornehmlich Flächenbrände ausgelöst, resümierte Zumach. Provokant fragte er, ob es nicht auch Staatsterrorismus gebe.
Im Nahen Osten, Haupt-Krisenherd seit Jahrzehnten, erweisen sich Kolonialismus und Ressourcenreichtum als maßgebliche historische Blaupause zum Verständnis der heutigen, von Großmächten gestützten, autokratischen Regime. Der Islam sei dort, wie Hippler ausführte, vielfach erst nach dem Auseinanderfallen traditioneller Macht- und Stammesstrukturen zum einigenden Band geworden - mit den bekannten Radikalisierungstendenzen. Am Beispiel Afghanistan drang die Runde hier in die Tiefe: Bis Ende der 70er waren die Mullahs dort Hippler zufolge noch das, was man bei uns mit Ostfriesen verbindet: Spottfiguren. Zumach verdeutlichte, dass in Afghanistan (einer Welthochburg des Drogenhandels) 60 Prozent des Bruttosozialprodukts "auf die Drogenökonomie entfallen", was die Finanzierung von Milizen und Korruption begünstige. Kurz merkte an, dass "Hybris und Verlogenheit der westlichen Politik" für die Betroffenen in Nahost umso leichter transparent werde, weil jeder ein Mobiltelefon (und damit auch Informationswege) habe.
Auch dank der Fragen der Dramaturgen Martin Stiefermann und Hartmut Schrewe von der Berliner Performancegruppe MS-Schrittmacher, die aus diesem wie den folgenden SST-Diskussionen ein Stück bauen werden, ergaben sich erhellende Wechselbeziehungen zwischen Krieg, Terrorismus und staatlicher Überwachung. In den USA, meinte Kurz, gebe es erste Prototypen landgetriebener Roboter. "Sie sind schneller, als wir es aus ,Terminator' kennen." Ob sie künftig Kriege auch für uns erledigen? Umso wichtiger bleibt die Kontrolle staatlicher Kontrolldienste.