Abstürze, Flugverbote, Dauerkrise Kommt Boeing im neuen Jahr aus der Krise?

Chicago · Der Schaden durch die Flugverbote der Unglücksmaschine 737 Max ist immens. Boeing erwägt eine Produktionspause.

 Wann die 737-Maschinen wieder fliegen dürfen, ist noch immer unklar. Deshalb steht eine Produktionspause zur Debatte.

Wann die 737-Maschinen wieder fliegen dürfen, ist noch immer unklar. Deshalb steht eine Produktionspause zur Debatte.

Foto: dpa/Ted S. Warren

Zwei Flugzeugabstürze mit 346 Toten haben Boeing vom erfolgsverwöhnten Vorzeigekonzern zu einem Krisenfall mit ungewisser Zukunft gemacht. Die Unglücksflieger vom Typ 737 Max können seit Mitte März wegen Startverboten nicht ausgeliefert werden. Damit fehlt Boeing sein zentraler Profitbringer. Ob und wann die 737 Max wieder abheben darf, ist unklar. Die Unternehmensführung halte eine Produktionspause zusehends für die gangbarste Option, berichtete das Wall Street Journal unter Berufung auf Insider. Die Alternative wäre, die Produktion weiter zu drosseln.

Vor einem Jahr war die Boeing-Welt noch in Ordnung. Zwar hatte sich bereits der 737-Max-Absturz in Indonesien ereignet, doch das schien Boeing zunächst kaum zu schaden. Konzernchef Dennis Muilenburg – der erst Mitte 2015 den Spitzenposten übernommen hatte – feierte große Erfolge: Im Geschäftsjahr 2018 knackte Boeing beim Umsatz erstmals in der über hundertjährigen Geschichte die Marke von 100 Milliarden Dollar. Der Aktienkurs verdreifachte sich in Muilenburgs kurzer Amtszeit.

Doch die Zeiten, in denen der 55-jährige Top-Manager als Held gefeiert wurde, endeten abrupt. Im März 2019 stürzte eine weitere baugleiche und fast nagelneue 737 Max in Äthiopien ab, seitdem gelten fast rund um den Globus Flugverbote für Boeings Verkaufsschlager. Der finanzielle Schaden ist enorm und ein Ende der Misere nicht in Sicht.

Muilenburg ist als Krisenmanager gefordert – eine Rolle, die ihm wohl schwerfällt. „Wir wissen, dass wir Fehler und einige Dinge falsch gemacht haben“, räumte er Ende Oktober zerknirscht bei einer Anhörung vor dem US-Kongress ein. Das Debakel um die 737 Max beschäftigt in den USA längst Spitzenpolitiker und Justizbehörden. Denn als eine entscheidende Ursache der Abstürze gilt Boeings fehlerhafte Steuerungssoftware MCAS. Sie ließ die 737-Max-Jets laut Ermittlungsberichten quasi per Autopilot abstürzen.

Dem Unternehmen wird vorgeworfen, die Unglücksflieger im Wettbewerb mit Airbus überstürzt auf den Markt gebracht zu haben. Darüber hinaus gibt es den Verdacht, dass Boeing die US-Flugaufsicht FAA bei der ursprünglichen Zulassung der Absturz-Jets getäuscht und wichtige Informationen unterschlagen haben könnte. Der Konzern weist dies zurück, geriet durch brisante Dokumente aber in Erklärungsnöte.

In der Öffentlichkeit gibt der Konzern derweil keine gute Figur ab. Es dauerte Monate und erforderte massiven Druck, bis Boeing sich zu einem entschlosseneren Handeln durchrang. Erst im Oktober zog das Unternehmen die ersten personellen Konsequenzen: Muilenburg musste den Vorsitz im Verwaltungsrat abgeben, der dem Vorstand übergeordnet ist. Zudem entließ Boeing Kevin McAllister, den Leiter der Verkehrsflugzeugsparte. Beim Bemühen, Vertrauen bei Fluggästen zurückzugewinnen, ging der Konzern jüngst erst mit großen Zeitungsanzeigen und TV-Werbung stärker in die Offensive. Doch selbst wenn Aufsichtsbehörden die 737 Max wieder abheben lassen, muss sich erst zeigen, ob Flugreisende überhaupt bereit sind, den Krisenflieger zu nutzen.

Für dieses Jahr schloss Steve Dickson, der Chef der US-Luftfahrtaufsicht FAA, eine Wiederzulassung der 737 Max aus. Bei einer Anhörung im US-Kongress drohte der Behördenchef dem Konzern zudem mit Konsequenzen. „Ich behalte mir das Recht vor, weitere Maßnahmen zu ergreifen.“ Die FAA gab darüber hinaus bekannt, dass sie inzwischen auch wegen möglicher Produktionsmängel gegen Boeing ermittle.

Geschäftlich ist der Schaden immens: Nach einem Rekordverlust im zweiten Quartal brach der Gewinn in den drei Monaten bis Ende September im Jahresvergleich um rund die Hälfte auf knapp 1,2 Milliarden Dollar ein. Der Umsatz fiel wegen der im Zuge der Flugverbote gestoppten Auslieferung der 737 Max um weitere 21 Prozent auf knapp 20 Milliarden Dollar. Angesichts der anhaltenden Probleme dürften weitere hohe Sonderkosten hinzukommen. Boeing muss sich zudem mit einer Klagewelle auseinandersetzen.

 Er muss sich jetzt als ein Krisenmanager beweisen: Dennis Muilenburg, Boeing-Chef.

Er muss sich jetzt als ein Krisenmanager beweisen: Dennis Muilenburg, Boeing-Chef.

Foto: AP/Andrew Harnik

Muilenburg und die gesamte Führungsriege sind längst mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. „Ich betrachte es nicht als Lösung, vor einer Herausforderung davonzulaufen“, sagte Muilenburg. Er bot nach Kritik an seinen hohen Bezügen aber an, 2019 auf Bonuszahlungen in Millionenhöhe zu verzichten. Der Verwaltungsrat stärkte ihm zuletzt noch demonstrativ den Rücken – doch sein Job dürfte im kommenden Jahr kaum einfacher werden.

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