Wie die saarländische Universitäts- und Landesbibliothek ausgehungert wird
Saarbrücken · Um gut 27 Prozent schrumpft dieses Jahr der Medien-Etat der Universitäts- und Landesbibliothek. Direktor Bernd Hagenau sieht selbst die Basisversorgung nun nicht mehr als gewährleistet.
Das romantisierende Bild von der Bibliothek als Schatzkammer des Wissens, in der alte Folianten, ledergebundene Erstausgaben und überhaupt kilometerweise lauter bewahrenswerte Buchwelten gehütet werden, wird zwar gerne bemüht, wenn von Bibliotheken die Rede ist. Die Ehrwürdigkeit, die es vermitteln soll, aber wirkt heute deplatziert. Ist Nostalgiegerede. Monetär bluten die meisten aus. Großbibliotheken muten heute eher wie gewaltige Datenbanken an, die auf ihren Servern den oftmals nurmehr digital vorliegenden wissenschaftlichen Ertrag von Hochschulen und sonstigen Forschungseinrichtungen als Datensatz verwalten. In den naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen, wo fast nur noch elek tronisch publiziert wird, jedenfalls ist das Buch seit Jahren out.
Aber auch das ist allenfalls die halbe Wahrheit über Rolle und Profil von Bibliotheken heute. Sie mutieren weder zu reinen, digitalen Archivierungs- und Bereitstellungszentren mit IP-Zugang, noch sind umgekehrt etwa Gemeindebüchereien, die vornehmlich Gedrucktes hochhalten, Papiermuseen, die im Netzzeitalter obsolet werden. Denn ebenso wahr ist, dass sie alle (ob Unibibliotheken oder Stadtbüchereien) alles andere als aus der Mode gekommen sind. Im Gegenteil: Landauf, landab ist ihr Zulauf nicht nur ungebrochen, viele sind als Versorgungsstätten mit U- und E-Nahrung beliebter denn je. Die Ausleihzahlen steigen stetig. Laut einer Allensbach-Studie besuchte 2015 gut ein Viertel der deutschen Bevölkerung regelmäßig eine Bibliothek.
Früher oder später stößt man auf der Suche nach fachkundigen Zustandsbildern deutscher Bibliotheken auf Ray Oldenburgs in den 70ern entwickelte "Theorie des dritten Ortes". Tatsächlich taugt, was der US-Soziologe mit Blick auf die Verödung amerikanischer Wohngebiete auf Bars und Restaurants münzte, als Erklärungsansatz für das Erfolgsmodell Bibliothek. Menschen, erkannte Oldenburg, suchen abseits von Privatheit und Arbeitsplatz nach "dritten Orten", an denen sie einkehren, stöbern, sich austauschen. Sind Bibliotheken aber nun gleich Sozialbörsen, wie das in blumigen Texten niedlich besungen wird? Nein, hüten sollte man sich, das Gemeinschaftserlebnis Bibliothek zu idealisieren. Sie sind keine Kneipen. Als "dritte Orte" funktionieren sie dennoch - aus ganz praktischen Gründen. Zum einen ist es sehr viel billiger, Bücher und sonstige Medien auszuleihen als zu kaufen. Was Nutzern leichter gemacht wird, seit Service und Ausleihsystem professionalisiert wurden. Zum anderen werden nicht nur Hochschul-Bibliotheken heute auch als Lernorte (und Rückzugsräume) genutzt. Nicht zuletzt deshalb, weil in ihre Aufenthaltsqualität investiert wurde.
Dass das Bundesverfassungsgericht (anders als bei wissenschaftlichen Häusern) Ende 2014 der Sonntagsöffnung von Bibliotheken einen Riegel verschob, begrenzt leider ihr Nutzungspotenzial für Familien. Seit einem Vierteljahrhundert ist Bernd Hagenau Direktor der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek (SULB). "Seither kenne ich nur sparen, sparen", sagt Hagenau. So hinreißend der Blick aus seinem Sitzungszimmer im 10. Stock des Bücherturms auf dem Uni-Campus ist, der Blick in die Zukunft ist umso düsterer. "Im Vergleich mit anderen Bundesländern sind wir arm wie eine Kirchenmaus und hinken trostlos hinterher", fasst er die Lage zusammen.
Gegenüber 2014 wurde der Gesamtetat der Landesbibliothek im laufenden Jahr von 3,2 auf 2,5 Millionen Euro zusammengestrichen. Damit nicht genug, schrumpft er 2016 um weitere 110 000 Euro (Zahlungen an den Bibliotheksverbund und für Softwarelizenzen) - Kosten, die der SULB bislang nicht zu Last fielen. Für den Anschaffungsetat bedeutet das unterm Strich binnen zwei Jahren eine Kürzung um 800 000 Euro (oder 27,6 Prozent). Bis 2020 soll der Bibliotheksetat zwar pro Jahr wieder um fünf Prozent wachsen. Da jedoch gleichzeitig eine (für alle Unibereiche geltende) Nicht-Ausschöpfungsquote von fünf Prozent greift, wird daraus ein Nullsummenspiel. Sorgten bislang noch die Kompensationsmittel für die längst abgeschafften Studiengebühren für einige Entlastung, so wird es nach deren Wegbrechen für die SULB nun immer enger. "Selbst eine Basisversorgung können wir jetzt nicht mehr gewährleisten", sagt Hagenau.
Stranguliert wird die Bibliothek insbesondere durch Knebelverträge der Quasi-Monopolisten im Wissenschaftsverlagsgeschäft (namentlich Elsevier, Wiley und Springer), die faktisch als "profitorientierte Heuschrecken" agierten, so der SULB-Direktor. Um in den naturwissenschaftlichen Fachbereichen up to date zu bleiben, muss die Unibibliothek (wie alle anderen sonstwo auch) 30 000 Zeitschriften einschließende Gesamtpakete erwerben (mit dreijähriger Vertragslaufzeit und jährlichen Preissteigerungen von sieben Prozent), die in Saarbrücken insgesamt mit 1,3 Millionen Euro zu Buche schlagen - mehr als 60 Prozent des gesamten Medienbudgets (!).
Daran lässt sich ablesen, dass die Universität schleichend quasi zur Technischen Hochschule heruntergewirtschaftet wird. Zwar bemühen sich etwa die Fachbereichsbibliotheken in den Geistes- und Sozialwissenschaften um Kompensation. Doch ist dies weitgehend aussichtslos, weil sie genauso blank sind wie die große Schwester.
Dass die SULB viel genutzt wird, untermauert die jährliche Zugriffszahl auf den Bestandskatalog, die laut Hagenau zuletzt bei einer Million lag. Auch wenn die Aussagekraft solcher Zahlen relativ ist (jeder Klick gilt als Zugriff): Seit die Uni im Zuge des Bologna-Prozesses (Bachelor- und Master-System) verschult wurde und Studenten mehr Präsenzpflicht haben, nutzten diese die SULB mehr denn je als Lernort, so Hagenau. In Zeiten verbreiteter Schmalspurstudien fallen die zunehmenden Bestandslücken vielleicht erstmal nicht auf.