Wenn Sportgeräte intelligent werden

München · Elektronik krempelt die Fitness-Branche radikal um. Virtuelle Welten halten immer mehr beim Training Einzug. Fachhändler müssen mithalten oder untergehen. Digital first, lautet das Motto.

 Immer mehr Menschen nutzen bei ihrem Training Informationen von digitalen Assistenten. Foto: Fotolia/LM

Immer mehr Menschen nutzen bei ihrem Training Informationen von digitalen Assistenten. Foto: Fotolia/LM

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Fitnessarmbänder waren gestern. Vernetzte Elektronik erfasst immer größere Teile der Sportartikelindustrie und nun auch des Fachhandels, verdeutlicht ihre weltgrößten Branchenschau Ispo in München. "Digitalisierung bringt Wachstum in die Branche", stellt Messechef Klaus Dittrich klar.

Da sind sensorbestückte Hightech-Hemden, die die Hauttemperatur seines Trägers messen, und, darauf abgestimmt, Wärme abgeben. Es gibt Skischuhe, die den Fahrstil erfassen und per Kopfhörer Feedback an den Sportler geben, um ihn besser zu machen. Intelligente Hanteln erfassen den Kalorienverbrauch und führen per App und Smartphone wie ein Trainer durchs Workout.

Digitalisiert werden aber nicht nur Produkte, sondern auch der stationäre Handel. Eine Spezialbrille für virtuelle Realitäten versetzt einen potenziellen Kunden im Sportladen der Zukunft in eine digitale Winterlandschaft, in der Produkte nicht tot im Regal liegen, sondern in Aktion vor Augen geführt werden, was bis zur computerisierten Abfahrt auf dem neuen Paar Ski geht. "Das will ich erleben", sagt Kim Roether spontan und drängt an den Stand, wo die Technologie erklärt wird. Er ist Chef des europaweit größten Sporthandelsverbands Intersport und weiß, was die Stunde geschlagen hat. "Ohne Digitales gibt es den Handel nicht mehr", meint der Großhändler.

Ein Onlineauftritt parallel zum Ladengeschäft sei ohnehin Pflicht. Aber stationäre Läden müssten darüber hinaus neue digitale Erlebniswelten schaffen, sonst sei es um sie geschehen. Sportartikel im Volumen von rund 7,5 Milliarden Euro werden hierzulande jedes Jahr verkauft. Zuwächse hat aber nur der Onlineverkauf, der diese Branche dominiert wie kaum eine andere. "Bei Sportartikeln wird jeder dritte Euro mobil ausgegeben", sagt Roether. In den Läden stagniere das Geschäft dagegen, Verdrängungswettbewerb greife um sich.

Die hierzulande noch rund 6000 Sportartikel-Einzelhändler müssen, getrieben von den großen Einkaufsverbänden Intersport und Sport 2000, digital aufrüsten. Im ersten Schritt bedeutet das Werbung per Facebook & Co und freies W-Lan in stationären Läden, wobei Nutzer bei Letzterem in eine digitale Kundenkartei wandern. Händler können Werbung dann maßschneidern und beispielsweise durch Verknüpfung mit Facebook-Daten 13- bis 30-jährige Männer in der näheren Umgebung, die sich für Fußball interessieren, gezielt anmailen.

"Daten spielen als Erfolgsfaktor eine entscheidende Rolle", stellt Intersport-Manager Hannes Rumer klar. Die Sportartikelindustrie hat das weit früher erkannt. Früher habe es jährlich zweimal Saison gegeben, erinnert sich Adidas-Marketingvorstand Roland Auschel. Heute kämen Neuheiten im Zwei-Wochen-Takt und bei solchen Frequenzen sei eben das Internet das Maß aller Dinge. Adidas ist zwar nach 16 Jahren nun erstmals wieder auf der Ispo, aber ohne Stand und nur, um dort eine Fachtagung abzuhalten. Thema: "Digitalisierung als Wachstumsimpuls für Industrie und Handel".

Die dominierenden Branchenriesen Adidas und Nike konzentrieren sich medial heute nur noch auf wenige Metropolen wie New York, London, Shanghai oder bestenfalls noch Berlin, um dort Meinungsbildner für sich zu gewinnen und Trends zu machen. Transportiert werden die dann per Internet und soziale Medien in die hintersten Ecken jedes Landes. In diese Gelddruckmaschine sollen sich stationäre Händler nun einfügen. Spielraum haben diese nicht, falls sie überleben wollen.

Über möglichst individuelle Werbung per intelligenter Analyse von Nutzerdaten kann man Sportartikel dann auch verstärkt verkaufen - auch an völlig unsportliche Zeitgenossen, die es reichlich gibt. Knapp drei Zehntel der Bevölkerung im deutschsprachigen Europa treiben weder Sport, noch kaufen sie Sportartikel, hat eine zur Ispo erstellte Studie herausgefunden. Rund zwei Zehntel sind zwar nicht sportlich, kaufen aber zumindest Sportschuhe und ähnliches. Es gibt also noch Potenzial bei Unsportlichen. Denn zumindest sportlich aussehen, das liegt im Trend. Auch im Büro seien Turnschuhe oder Outdoorjacke kein Tabubruch mehr, sagt Messechef Dittrich. Die Grenze zwischen Mode und Funktionsbekleidung löse sich auf. Für Handel und Industrie ist es letztlich egal, ob Käufer in ihrer Freizeit auf dem Sofa liegen und nur virtuell sporteln oder im richtigen Leben noch selbst aktiv sind. Hauptsache, der Verbraucher kauft und das Geschäft läuft, auch wenn es der Kunde selbst nicht tut.

Zum Thema:

Ausstellerrekord auf der Ispo Die weltgrößte Sportartikelmesse meldet in diesem Jahr einen Ausstellerrekord. 2732 Firmen zeigen in München ihre Produkte, ein Plus von drei Prozent gegenüber 2016. Käufer von Sportartikeln seien in der Tendenz jünger und dem Internet geneigter, erklären Experten. Auch werden immer mehr Produkte im Sportbereich über den Online-Handel gekauft.

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