Wenn das Wörtchen wenn nicht wär': Eine Feier des Konditionals

Saarbrücken · Man müsste mal – mit dieser Haltung ist noch nie mehr als ein Sturm im Wasserglas entfacht worden. Georges Perec (1932-1986), dessen Werke der Sulzbacher Eugen Helmlé kongenial übersetzte, hat sie in „Die Kunst, seinen Chef anzusprechen und um eine Gehaltserhöhung zu bitten“ parodistisch hochgenommen. Antje Thoms' den Text gebührend feiernde Bühnenversion sorgt für einen vergnüglichen Sparte 4-Abend.

 Eventualitätsversessene Bedenkenträger: Klaus Meininger, Saskia Petzold, Gabriela Krestan und Klaus Müller-Beck (v.l.) Foto: Marco Kany

Eventualitätsversessene Bedenkenträger: Klaus Meininger, Saskia Petzold, Gabriela Krestan und Klaus Müller-Beck (v.l.) Foto: Marco Kany

Foto: Marco Kany

In "Der neue Chef", einem gerade erschienenen Büchlein mit drei Aufsätzen des Soziologen Niklas Luhmann, heißt es, Vorgesetzte seien für Untergebene "ein wichtiges, vielfältig verwendbares Werkzeug bei der Durchsetzung von Plänen und Absichten". Wenn man weiß, wie man es richtig anstellt. Georges Perecs 1967 entstandene, erst im Nachlass gefundene, köstliche Angestellten- und Berater-(Un-)Wesen-Groteske "Die Kunst, seinen Chef anzusprechen und um eine Gehaltserhöhung zu bitten", lebt vom genauen Gegenteil.

Perecs Text ohne Punkt und Komma ist eine einzige, sprachartistische Feier des Konditionals, die vorführt, wie man sich vor lauter Erwägungen, Infragestellungen, Vorwänden, Hypothesen, Eventualitäten und Vorwegnahmen verströstet, entmutigt und lähmt. Ein zeitlos aktueller Text also. Wer fürchtet nicht dieses oder unterlässt jenes, weil es ja sein könnte dass - man sich eine Abfuhr holen (Beziehungen) oder etwas passieren (Reisen) oder das nationale Vorgärtchen bedroht (Flüchtlinge) werden könnte?

Antje Thoms' Version von Perecs parodistischer Diskursspirale, die am Freitag in der Sparte 4 ihre umjubelte Premiere hatte, stellt die zersetzende Wirkung pedantischen Bedenkens vorzüglich aus. Aus der sich genüsslich permanent im Kreis rotierenden Abwägungssuada der Vorlage macht sie einen auf vier Stimmen verteilten Bedenkenträgerchor, den Gabriela Krestan, Saskia Petzold, Klaus Meininger und Klaus Müller-Beck glanzvoll meistern. Köstlich ihr verhaltenes, klamaukfreies Mienenspiel und die eingeschobenen Szenen stummen Spiels (Dramaturgie: Holger Schröder). 90 Minuten lang, die hier ein halbes Leben sind, ent- und verwerfen sie unser aller Geheimplan, mehr Geld zu fordern. Die Pointe sitzt: Ihre Entweder-Oder-Schlachtordnung praktizieren sie bis zur Rente. Ergebnislos. Thoms zeigt vier Ausgesperrte, geklonte Angestellten-Karikaturen (Einheits-Kittel und -Perücken), die im blendend weißen Vorzimmer der Macht geschäftig tun, schwafeln, sich Hinderungsgründe wie Bälle zuwerfen. Die Tür zum Chefzimmer wird bis zuletzt verschlossen bleiben (Bühne und Ausstattung: Reyes Perez).

Dass diese Optionen und Eventualitäten auf ihren Blöcken Notierenden per Hin- und Abhalten sytemstabilisierend wirken, liegt auf der Hand. Ein höhnischer Seitenhieb auf die Beraterbranche, die unser Arbeitsleben mit wohlfeilen Vorschlägen und alertem Business-Getue unterwandern, was in erster Linie nur ihnen selbst nutzt. Perec hat all das schon vor 50 Jahren demaskiert.

Gebetsmühlenhaft predigen die Vier ein Leben im Wartestand und empfehlen lieber ,,eine runde durch die verschiedenen abteilungen zu drehen deren gesamtheit ganz oder teilweise die organisation bildet die sie beschäftigt". Im Lauf des Abends wird diese Phrase sinnfällig variiert: Aus "die sie beschäftigt" wird erst "die sie ausbeutet" und zuletzt "die ihnen alles gegeben hat". In einem furiosen Monolog wechselt Klaus Meininger am Ende die Seiten und brüllt "Sie", womit wir alle gemeint sind, als Chef nieder. Kein Wunder, dass es mit der Gehaltserhöhung nichts wurde. Hätten wir uns besser mal an Luhmann gehalten. Der empfahl in "Der neue Chef" als Umgangsstrategie mit Chefetagen: "Hilfreich ist die Vorstellung, der Vorgesetzte habe keine Kleider an."

Wieder am 17., 19., 22., 30.3.

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