Wahlkampf mit der Eisenbahn

Paris · Der französische Staat kauft für eine halbe Milliarde Euro Züge, die keiner braucht. Staatspräsident François Hollande will so das Alstom-Werk in Belfort erhalten – und bei den Wählern punkten.

Selbst für Frankreich ist die Rettungsaktion ungewöhnlich: Der Staat kauft 15 TGV-Schnellzüge, um das Traditionswerk des Zugbauers Alstom im ostfranzösischen Belfort zu retten. Damit die Auftragsbücher voll sind, gibt die sozialistische Regierung eine Bestellung auf, die keiner braucht. Denn die bestellten TGV sollen zwischen Bordeaux und Nizza verkehren - einer Strecke, die noch gar nicht für Hochgeschwindigkeitszüge ausgerichtet ist.

Dass der hoch verschuldete Staat für den Deal fast eine halbe Milliarde Euro ausgibt, zeigt, wie wichtig die Angelegenheit ist. Denn in Frankreich wird in sieben Monaten ein neuer Präsident gewählt, und der äußerst unbeliebte François Hollande möchte erneut antreten. Dazu muss der Sozialist jedoch seiner einstigen Wählerschaft, den Arbeitern, demonstrieren, dass er etwas gegen das Industriesterben tut. Und welcher Standort würde sich dafür besser eignen als Belfort, wo 1972 der erste TGV-Prototyp gebaut wurde?

Anfang September kündigte Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge an, wegen der schlechten Auftragslage die Zugproduktion bis 2018 ins elsässische Reichshoffen zu verlagern. Von den 480 Angestellten sollten ursprünglich nur 80 im strukturschwachen Belfort, 40 Kilometer westlich von Mulhouse, bleiben. Schnell nahm sich Hollande der Sache an und lud zum Krisengipfel. Schon mehrfach hatte der Präsident schwächelnden Unternehmen mit Staatsgeld unter die Arme gegriffen, beispielsweise dem Autobauer PSA Peugeot-Citroën. Jedoch geht es Alstom als Unternehmen gut. Der Siemens-Konkurrent bekommt immer neue Aufträge für Züge , die dann aber in den Abnehmerländern gebaut werden.

Hollande fühlt sich durch das Schicksal von Belfort an das Stahlwerk Arcelor-Mittal im lothringischen Florange erinnert. Als Kandidat hatte er 2012 versprochen, Florange zu retten. Doch ein Jahr später machte der indische Stahlmagnat Lakshmi Mittal die Hochöfen zu. "Die Regierung weiß genau, dass sie sich ein zweites Florange nicht leisten kann", schreibt die konservative Zeitung "Le Figaro".

Mit einem Maßnahmenpaket soll deshalb Belfort gerettet werden. Neben dem Staat kauft auch die staatliche Bahn SNCF sechs TGV für die Strecke Paris-Turin und 20 Abschlepp-Lokomotiven. Außerdem werden 70 Millionen Euro in den historischen Standort investiert, der damit langfristig von der Lokomotiv-Produktion wegkommen soll. So soll Belfort zum europäischen Instandhaltungszentrum des Konzerns werden. Für mindestens vier Jahre ist laut Gewerkschaften nun der Weiterbetrieb gesichert.

Die Aktion der Regierung sei nur "Flickschusterei", kritisierte der konservative Senatspräsident Gérard Larcher. "Die Verantwortung des Staates liegt darin, die Bedingungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen".

Meinung:

Plumpe Anbiederung

Von SZ-Redakteur Volker Meyer zu Tittingdorf

So plump ist wohl kaum je ein Regierungschef vorgegangen, um Arbeitsplätze zu retten und sich bei seiner Wählerschaft einzuschmeicheln. Eine halbe Milliarde Euro macht Staatspräsident François locker für einen Großauftrag nicht etwa an ein Krisenunternehmen, sondern an einen gesunden Konzern. Gekauft werden unter anderem Züge , die man vorläufig nicht wirklich braucht. Die 500 Millionen Euro wären in Mittelstandsförderung - gerade auch in strukturschwächeren Regionen - viel besser angelegt. Und dabei würden höchstwahrscheinlich mehr Arbeitsplätze entstehen, als durch die ursprünglichen Pläne zur Schließung des Werks in Belfort verloren gehen sollten. Doch hier ging es nicht um ökonomische Vernunft, sondern um kurzfristiges politisches Kalkül.

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