Klage-Strategie nach dem Abgas-Skandal VW setzt bei „Dieselgate“ auf Vergleiche

Wolfsburg · Weil der Autobauer vor Gericht negative Urteile und Zahlungen wie in den USA vermeiden will, setzt er auf Einigungen in letzter Minute.

 Mit manipulierter Motor-Software hat Volkswagen den Diesel-Skandal mit Milliarden-Schadenersatzzahlungen ausgelöst.

Mit manipulierter Motor-Software hat Volkswagen den Diesel-Skandal mit Milliarden-Schadenersatzzahlungen ausgelöst.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Über 25 Milliarden Euro hat VW nach dem Diesel-Skandal in den Vereinigten Staaten in die Hand genommen, um die juristischen Hürden wegzuräumen, mit denen sich der Konzern angesichts der vielen Käufer-Klagen auseinandersetzen musste. Und in Europa? Setzt VW hier ganz bewusst auf Vergleiche mit klagenden Autobesitzern, wie Anwälte den Wolfsburgern vorwerfen?

Die Strategie wäre verständlich, denn Milliardenzahlungen wie in den USA wären trotz der aktuell guten Lage des Autoherstellers kaum zu verkraften. Derzeit sieht es tatsächlich gut aus für die Wolfsburger. Trotz „Dieselgate“ liefert der Konzern immer mehr Fahrzeuge aus. Die Kassen des Autoriesen, der allerdings auch den tiefgreifenden Wandel in der Branche hin zu E-Mobilität und Digitalisierung finanzieren muss, sind gut gefüllt. Und in dieser guten Lage will VW will nach Einschätzung der Juristen nicht riskieren, mit Referenzurteilen den Weg für zusätzliche Schadenersatzklagen frei zu machen.

VW allerdings stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Zahl der Vergleiche gemessen an der Gesamtzahl der Verfahren gering sei. Ob sich der Konzern für einen außergerichtlichen Vergleich entscheide, sei von wirtschaftlichen Gesichtspunkten und jedem Einzelfall abhängig, hieß es.

Christopher Rother, Anwalt der US-Kanzlei Hausfeld spricht jedoch von einer erkennbaren Absicht. VW vergleiche sich erst in der Berufungsinstanz, bevor das jeweilige Gericht die Chance habe, eine Entscheidung zu fällen. Ende dieses Jahres verjähren seinen Angaben zufolge Ansprüche, daher sieht Rother eine „sehr kluge Prozessstrategie“. So werde eine abschließende gerichtliche Klärung der Frage, ob VW als Hersteller schadenersatzpflichtig ist, verhindert: „Die Strategie ist weitgehend aufgegangen.“

Müsste Volkswagen dagegen sämtliche Kunden mit Betrugsdieseln wie in den USA entschädigen, dann wäre das bei einem durchschnittlichen Streitwert von 25 000 Euro „wirtschaftlich nicht zu stemmen“, glaubt Rother. Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein: Auch der frühere VW-Konzernchef Matthias Müller hatte seinerzeit argumentiert, Entschädigungen wie im US-Maßstab würden Volkswagen ruinieren.

Wie viele zivilrechtliche Auseinandersetzungen gibt es? Insgesamt sind in Deutschland rund 23 100 Verfahren von Autobesitzern anhängig, die einen manipulierten Diesel aus der VW-Gruppe fahren. Rund 6000 Urteile in Sachen Diesel gibt es bisher – nach Angaben aus Konzernkreisen überwiegend ohne Erfolg für die Kunden.

Die bislang erst elf Urteile an Oberlandesgerichten (OLG) fielen demnach allesamt im Sinne des Herstellers oder seiner Händler aus. Darüber hinaus gebe es zahlreiche Zurückweisungsbeschlüsse von Oberlandesgerichten, auch diese in der „überwiegenden Mehrheit“ zugunsten von Volkswagen.

Rother sieht auch bei flächendeckenden Vergleichen mit deutschen Käufern keine Existenzbedrohung für VW. Er geht davon aus, dass diese für den Hersteller insgesamt mit 500 Millionen Euro zu Buche schlagen würden. Bei einer Netto-Liquidität von VW zum 30. Juni bei knapp 26,3 Milliarden Euro.

Eigentlich ist die Gesamtzahl der Verfahren relativ gering. Weltweit geht es in dem im September 2015 in den USA aufgeflogenen Diesel-Abgasskandal um rund elf Millionen Autos, in Deutschland sind es über 2,2 Millionen Wagen. Hierzulande sind über 97 Prozent der betroffenen Fahrzeuge bereits per Software-Update umgerüstet – europaweit sind es knapp 78 Prozent oder 6,3 Millionen Autos.

Rother erklärt, über die Internet-Plattform „myright.de“ hätten sich ungefähr 50 000 geschädigte VW-Kunden registriert. Diese Fälle seien in wenigen Verfahren gebündelt. Die meisten davon dürften aus seiner Sicht Rechtsschutz-Versicherungsfälle sein – andere potenzielle Kläger würden abgeschreckt, weil sie die Gerichtskosten vorstrecken müssten. Auch deshalb vergleiche sich VW erst in der Berufungsinstanz.

Volkswagen steht mit seinem Vorgehen übrigens nicht allein da. Auch andere Unternehmen und sogar der Staat verhindern befürchtete Präzedenz-Urteile zu ihren Ungunsten, indem sie im Einzelfall nachgeben. Auch der Fiskus gibt gelegentlich Steuerzahlern im Einzelfall Recht, damit der Bundesfinanzhof kein grundsätzliches Urteil fällt, das viele Steuerzahler besserstellen könnte.

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