VW droht mit Gerichtsvollzieher

Wolfsburg · Es ist ein Wirtschaftskrimi mit bisher offenem Ende. Zwei kleine VW-Zulieferer verweigern dem Weltkonzern ihre Bauteile. Die Hintergründe des eskalierten Streits liegen aber weiterhin im Dunkeln.

 Die Golf-Produktion in Wolfsburg soll ab heute vorerst stillstehen. Foto: Stratenschulte/dpa

Die Golf-Produktion in Wolfsburg soll ab heute vorerst stillstehen. Foto: Stratenschulte/dpa

Foto: Stratenschulte/dpa

Die Machtprobe zwischen Europas größtem Autobauer Volkswagen und zwei kleinen Zulieferern spitzt sich zu. Das Landgericht Braunschweig stellte sich gestern auf die Seite des Konzerns und erklärte, dass VW alle nötigen Voraussetzungen für die Herausgabe fehlender Teile erwirkt habe. Volkswagen kündigte an, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um ein Ende des Lieferstopps bei seinen externen Partnern durchzudrücken. Der Boykott lähmt den Autobauer, da Sitzbezüge und Gehäuse für sogenannte Ausgleichsgetriebe fehlen.

Am Ende könnte also der Gerichtsvollzieher zur Not mit der Polizei im Schlepptau die dringend benötigten Teile vom Lieferanten holen. Der Autobauer sei gezwungen, "die zwangsweise Durchsetzung der Belieferung vorzubereiten, und zwar mit den uns zur Verfügung stehenden gesetzlich vorgesehenen Mitteln. Dazu gehören Ordnungsgeld, Ordnungshaft, Beschlagnahme, die über das Gericht beantragt werden", sagte ein VW-Sprecher.

Die Zulieferer wiesen die Verantwortung an der Misere zurück. VW trage die Schuld an der Eskalation. "Für die Krise bei VW und die dadurch entstandene Kurzarbeit sind wir nicht verantwortlich", sagte der Geschäftsführer der ES Automobilguss, Alexander Gerstung, einer Mitteilung zufolge. ES und der Sitzspezialist Car Trim, eine ES-Schwester, verweigern trotz der einstweiligen Verfügungen dem Autobauer die Lieferung der Teile, für die VW zumindest kurzfristig keinen Ersatz bei anderen Zulieferern bekommen kann.

In Emden hatte VW bereits vor einer Woche für 7500 Menschen Kurzarbeit angemeldet. Der Konzern prüft dies auch für die Standorte Braunschweig, Zwickau, Kassel und eben Wolfsburg . Dort steht das Stammwerk von Europas größtem Autobauer. Es baut fast 4000 Wagen pro Tag, neben Golf auch Tiguan und Touran. Die Golf-Produktion soll nun bis zum 29. August ruhen. Insgesamt könnten von dem Lieferstopp mehr als 20 000 VW-Mitarbeiter betroffen sein.

Risiken "viel zu groß"

Die genauen Hintergründe des Streits liegen weiter im Dunkeln. Aus Sicht von ES und Car Trim sei die Lage Folge einer frist- und grundlosen Kündigung von Aufträgen seitens VW . Volkswagen habe keinen Ausgleich für die Kündigungen gewährt. Es gehe für die beiden Betriebe um eine zweistellige Millionensumme. Deswegen "sahen sich Car Trim und ES Automobilguss letztlich zum Lieferstopp gezwungen", heißt es in einer Mitteilung. Um was für Kündigungen es genau geht, ist offen. Dennoch sei man an einer Einigung interessiert. "Wir streben nach wie vor eine einvernehmliche Lösung mit VW an." Auch ein VW-Sprecher sagte, man versuche weiterhin, eine gütliche Einigung zu erzielen .

Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen sieht strategische Fehler bei VW : "Ein fast ehernes Gesetz im Einkauf sagt, dass Single Sourcing (der Einkauf bei nur einem Zulieferer) zwischen einem Weltunternehmen und einem mittelständischen Zulieferer nie der Fall sein darf." Die Risiken seien "viel zu groß und stehen damit in keinem Verhältnis zu etwaigen Kosteneinsparungen".

Nach dem angekündigten Produktionsstopp bei VW bangen inzwischen erste Autokäufer um die Lieferung ihrer Wagen. "Wir haben die ersten Anrufe von Kunden, die sich Sorgen machen, ob ihr Auto pünktlich kommt", sagte der Solinger VW-Händler Ernst-Robert Nouvertné, der auch dem Vorstand des Zentralverbands des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes angehört. In einem Schreiben an die Händler hieß es vom VW-Vertrieb zwar, der Konzern rechne mit einer Entspannung der Lage. Bei einzelnen Fahrzeugen könne es aber zu Verzögerungen kommen.

Meinung:

Labile Zulieferketten

Von SZ-Redakteur Volker Meyer zu Tittingdorf

Der Auto-Riese VW hat eine gigantische Verhandlungsmacht gegenüber Zulieferern und übt einen enormen Preisdruck aus, den manch ein Mittelständler kaum aushalten kann. Doch dieser Fall zeigt, wie sehr auch die Großen von den Kleinen abhängen. Im Saarland gab es dafür ja ebenfalls ein Beispiel, als der US-Mittelständler Whitesell die Beckinger Schraubenfabrik übernommen und umgehend die Autokonzerne unter Druck gesetzt hatte. Die komplexen Zulieferketten sind anfällig, zumal direkt ans Band geliefert wird und Puffer durch Lager lange abgeschafft sind. Selbst wenn es zwei oder drei Zulieferer für die meisten Teile gibt, bleiben Risiken für Ausfälle - von Firmenpleiten bis Defekten in Fertigungsstraßen. Viele Risiken lassen sich aber dadurch mindern, dass Autobauer und Zulieferer fair miteinander umgehen.

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