Berlin Viele Betriebe sind nicht auf den Brexit vorbereitet
Berlin · Eine Untersuchung der Britischen Handelskammer in Deutschland liefert einen alarmierenden Befund.
Fast die Hälfte der deutschen und britischen Firmen mit Geschäftsfeldern im jeweils anderen Land ist noch nicht auf einen möglichen Brexit vorbereitet. Denn eigentlich hatte man mit einer längeren Übergangsphase gerechnet. Das geht aus einer Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und der Britischen Handelskammer in Deutschland (BCCG) hervor.
Ursprünglich sollte Großbritannien die EU bereits heute verlassen. Doch nach wie vor ist unklar, wann und in welcher Form ein Brexit kommt. „Wenn alles möglich ist, kann sich ein Unternehmen nicht gleichzeitig auf alles vorbereiten“, sagte der KPMG-Experte Andreas Glunz. Der Untersuchung zufolge sind 47 Prozent der Betriebe im Großbritannien- beziehungsweise Deutschland-Geschäft nach eigener Aussage nicht auf einen Brexit vorbereitet. Zwar erwarten die meisten einen „no deal“. Viele Firmen rechnen aber auch mit der Möglichkeit eines zweiten Referendums oder einer Abkehr vom EU-Austritt. Durch die große Verunsicherung sei der Schaden für die Betriebe längst da, sagte BCCG-Präsident Michael Schmidt.
Wie aus der Untersuchung weiter hervorgeht, prognostizieren 40 Prozent der Unternehmen im Brexit-Fall große bis sehr große Auswirkungen auf ihr Geschäft. 23 Prozent der deutschen Firmen geben an, dass sie dann komplett oder teilweise nach Deutschland zurückziehen oder in andere EU-Länder umziehen würden. Die Hälfte aller befragten Firmen fürchtet administrative Hürden und einen Umsatzrückgang. Als besonders problematisch stuft jedes vierte Unternehmen die zu erwartenden Störungen in den Lieferketten ein.
Ein Beispiel dafür ist der Medizinbereich. So erwartet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Falle eines ungeordneten Brexits Versorgungsprobleme bei wichtigen Medizinprodukten wie orthopädischen Implantaten und Erzeugnissen, mit denen Blutspenden auf den Aids-Virus getestet werden können. Zu befürchten sei, „dass auch in Deutschland spätestens ab Mitte April die Versorgung der Patienten mit Blutprodukten gefährdet sein kann“, heißt es in einem Schreiben des Ministers an die EU-Kommission. Hintergrund ist, dass viele Hersteller Produkte in Großbritannien zugelassen haben und die entsprechenden Zertifikate ohne eine kurzfristige Verständigung erst einmal ungültig in der EU würden. Auch Handelskammer-Präsident Schmidt hielt solche Szenarien gestern für „durchaus real“.
Deutschland und Großbritannien sind wirtschaftlich eng miteinander verflochten. 2017 betrug das Handelsvolumen 180 Milliarden Euro. Mehr als 2500 deutsche Firmen mit insgesamt 400 000 Beschäftigten haben sich in Großbritannien niedergelassen. Gut 1200 britische Firmen mit zusammen etwa 220 000 Mitarbeitern sind in Deutschland ansässig. Bereits im Oktober 2018 war eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zu dem Schluss gekommen, dass die deutschen Exporte nach Großbritannien im Falle eines harten Brexits um bis zu 57 Prozent sinken könnten.