Interview mit den Kammerpräsidenten Bernd Wegner und Hanno Dornseifer „So groß war die Kluft noch nie“

Saabrücken · Seit Jahren bleiben zu viele Ausbildungsstellen unbesetzt. IHK und HWK wünschen sich mehr Unterstützung durch Bund und Land.

 Die Kammern wollen mehr junge Frauen für sogenannte Männerberufe begeistern. Das Foto zeigt eine angehende Industrustriemechanikerin, die in einer Lehrwerkstatt ein Metallstück feilt.

Die Kammern wollen mehr junge Frauen für sogenannte Männerberufe begeistern. Das Foto zeigt eine angehende Industrustriemechanikerin, die in einer Lehrwerkstatt ein Metallstück feilt.

Foto: dpa/dpaweb/A3602 Frank Rumpenhorst

Zu wenige Jugendliche entscheiden sich für die duale Ausbildung. Hanno Dornseifer, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK), und Bernd Wegner, Präsident der Handwerkskammer des Saarlandes (HWK), äußern sich zum Fachkräftemangel und die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Ausbildungsmarkt.

Herr Dornseifer, Herr Wegner, viele Unternehmen finden kaum mehr Auszubildende. Woran liegt das?

DORNSEIFER In der Tat wird die Situation immer brisanter: Ende des Ausbildungsjahres 2017 waren bei der Arbeitsagentur 1260 mehr Ausbildungsstellen als Bewerber gemeldet. So groß war die Kluft noch nie. Gründe dafür sind, dass immer weniger Schüler die Schulen verlassen – und immer mehr von ihnen (Fach-)Abitur haben und ein Studium aufnehmen.

WEGNER: Außerdem wissen viele junge Menschen zu wenig über die Karrierechancen, die eine berufliche Ausbildung bietet. Neben der Vielfalt von über 130 Ausbildungsberufen bietet das Handwerk berufliche Perspektiven, wie beispielsweise Meister, Techniker oder Betriebswirt. Derzeit sind rund 450 Lehrstellen im saarländischen Handwerk unbesetzt, und in den nächsten fünf Jahren suchen etwa 2000 Betriebe die Unternehmensnachfolge.

Können Sie dieser Entwicklung entgegenwirken?

WEGNER Wir gehen bei der Nachwuchswerbung neue Wege. Ich nenne beispielhaft unseren erfolgreichen You-Tube-Kanal „Mach Dein Ding!“ oder auch die Seite www.lehrstellen-radar.de. Wir unterstützen auch Studienaussteiger mit unserem Projekt „Vom Hörsaal ins Handwerk“ und bieten saarländischen Schulen für die Klassenstufen sieben, acht und neun eine vertiefte Berufsorientierung mit Poten­zialanalyse an.

DORNSEIFER Die IHK versucht beispielsweise gemeinsam mit spezialisierten Coaches – etwa im Rahmen unseres Projektes „Anschluss Direkt“ – gezielt Jugendliche für eine Ausbildung zu begeistern. Damit werben wir an den Gemeinschaftsschulen für die Aufnahme einer dualen Berufsausbildung.

Welche Fähigkeiten müssen Auszubildende heute mitbringen? Welche Zielgruppe möchten Sie für eine Ausbildung gewinnen?

WEGNER Produkte und Dienstleistungen unserer Handwerksbetriebe werden immer anspruchsvoller. Dafür benötigt das Handwerk bestens qualifizierten Nachwuchs. Gleichzeitig gibt es eben weniger Jugendliche. Also müssen wir neue Zielgruppen ansprechen. Zum Beispiel Frauen für klassische Männerberufe begeistern. Im Handwerk findet sich für fast jede Begabung ein Karriereweg.

DORNSEIFER Ordentliche Kenntnisse in Mathematik und Deutsch sind nach wie vor wichtig. Hinzu kommen sogenannte „Soft Skills“, wie Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Teamfähigkeit. Mit unseren Beratungsangeboten sprechen wir auch gezielt Jugendliche mit Migrationshintergrund und Geflüchtete an.

Welche Besonderheiten hat der saarländische Ausbildungsmarkt?

WEGNER Das Saarland ist von einer gewissen Industriekultur geprägt. Das macht es für unser Handwerk nicht einfach, im Wettbewerb mit großen Unternehmen um junge Menschen zu werben. Sicher prägt auch die Nähe zu Frankreich unsere Region. Wir sehen beim grenzüberschreitenden Austausch und bei der Ausbildung aber noch Handlungsbedarf. Beispielsweise ist die Abstimmung der Schulen und der Betriebe über die Landesgrenze hinweg eine Herausforderung. Wir unterstützen auch vor diesem Hintergrund die Frankreichstrategie der Landesregierung.

Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf den Ausbildungsmarkt?

DORNSEIFER Die Digitalisierung verändert Arbeitsinhalte und -abläufe radikal. Viele Tätigkeiten werden sich stark verändern oder sogar komplett wegfallen. Gänzlich neue Berufsbilder entstehen. Inhalte und Wissensvermittlung passen sich den neuen Möglichkeiten an – sowohl im Betrieb als auch in der Berufsschule.

WEGNER Die Digitalisierung bietet Chancen und Risiken. Chancen zum Beispiel durch eine bessere Wissensteilung über Cloud-Lösungen. Wir haben als Vorreiter im Saarland ein Projekt aufs Gleis gesetzt, das unsere Ausbildungswerkstätten, die Berufsschule und die Ausbildungsbetriebe über eine Lernplattform, auf die man immer und von überall per Computer, Smartphone oder Tablet Zugriff hat, zu einem gemeinsamen virtuellen Lernort verbindet. Die Ergebnisse dieses Projekts werden derzeit bundesweit ausgerollt

 IHK-Präsident Hanno Dornseifer

IHK-Präsident Hanno Dornseifer

Foto: VSE
 HWK-Präsident Bernd Wegner Foto: Kerkrath

HWK-Präsident Bernd Wegner Foto: Kerkrath

Foto: Peter Kerkrath

Der Fachkräftemangel wird nicht von der Wirtschaft allein behoben werden können. Welche Unterstützung erhoffen Sie sich vom Land und vom Bund?

DORNSEIFER Ganz wichtig ist eine gute Berufsorientierung in den Schulen – und zwar in allen Schulformen, das heißt insbesondere auch an den Gymnasien. Und wir brauchen ein Übergangssystem von der allgemeinbildenden Schule in den beruflichen Bereich, das noch stärker an Themen der Ausbildung orientiert ist. Vom Bund wünschen wir uns eine höhere Schlagzahl bei der notwendigen Neuordnung der Ausbildungsberufe, aber auch eine finanzielle Beteiligung bei der erforderlichen Ausstattung der Bildungseinrichtungen – gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung.
WEGNER Wer gesellschaftspolitisch die Gleichwertigkeit der beruflichen mit der akademischen Bildung beschwört, muss auch die notwendigen Gelder zur Verfügung stellen. Der Zugang zu beruflicher Qualifizierung muss genauso kostengünstig sein wie der Zugang zur akademischen Qualifizierung. Hier besteht ein klares Ungleichgewicht zulasten der dualen Ausbildung und den entsprechenden Qualifizierungsmöglichkeiten im Handwerk. Zum Beispiel muss die Meister- und Technikerausbildung attraktiv und zukunftsfest bleiben. Wir arbeiten hier gut mit der Landesregierung zusammen, so dass die Saarländische Meister- und Technikerschule (SMTS) auch nach 2022 eine Zukunft hat.

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