Megafusion Die Ehe von Europas Zugbauern ist perfekt

Paris/München · Siemens und Alstom legen ihre Bahnsparten zusammen. Das neue Unternehmen wird damit zur Nummer zwei auf der Welt.

 Der TGV und der ICE sind die bekanntesten Züge, die von Alstom und Siemens produziert werden. Sie kommen auch auf der Strecke von Paris nach Frankfurt über Saarbrücken zum Einsatz.

Der TGV und der ICE sind die bekanntesten Züge, die von Alstom und Siemens produziert werden. Sie kommen auch auf der Strecke von Paris nach Frankfurt über Saarbrücken zum Einsatz.

Foto: dpa/Marijan Murat

Die Brautleute hatten lange miteinander verhandelt und am späten Dienstagabend war die Ehe dann perfekt: Siemens und der französische Zugbauer Alstom wollen ihre Bahnsparten zusammenlegen. Im Klartext bedeutet das eine Hochzeit der beiden Hochgeschwindigkeitszüge ICE und TGV, die von den bisherigen Konkurrenten produziert werden. „Wir setzen die europäische Idee in die Tat um und schaffen gemeinsam mit unseren Freunden bei Alstom auf lange Sicht einen neuen europäischen Champion der Eisenbahnindustrie“ , erklärte Siemens-Chef Joe Kaeser.

Mit dem Mega-Deal reagierten die Unternehmen auf die Konkurrenz durch den chinesischen Marktführer CRRC. Das Staatsunternehmen, das 2015 durch eine Fusion zum Weltmarktführer wurde, hat bereits in Tschechien als erstem EU-Land einen Auftrag ergattert. Das neue deutsch-franzö­sische Unternehmen, das künftig Siemens Alstom heißt, will dahinter zur Nummer zwei werden. Es verpflichtet sich für die nächsten vier Jahre, die Standorte und Arbeitsplätze zu erhalten. Während die IG Metall den Zusammenschluss als „potenzielle europäische Chance“ begrüßte, warnten die französischen Gewerkschaften vor Arbeitsplatzabbau. „Als die Energiesparte 2014 an General Electric ging, wurde die Schaffung von 1000 Arbeitsplätzen in drei Jahren versprochen. Seither wurden 1200 Stellen abgebaut“, sagte der Alstom-Gewerkschafter Patrick de Cara in der französischen Zeitung „Le Monde“.

Siemens hatte sich 2014 schon einmal um Alstom bemüht und für die Energiesparte gegen General Electric geboten. Der Münchner Konzern, der Alstom im Gegenzug seine Verkehrssparte überlassen wollte, verlor damals gegen das US-Unternehmen. „Das Timing passte nicht, doch die Dinge ändern sich. Wichtig ist die aktuelle Situation“, sagte Kaeser gestern bei einer Pressekonferenz in einem Pariser Hotel. „Wir werden alle Seiten überzeugen, dass es die beste Lösung ist.“

In Frankreich herrscht Skepsis über die starke Rolle von Siemens in der neuen Struktur. Der deutsche Konzern soll im Verwaltungsrat mit sechs von elf Sitzen die Mehrheit haben und mit 50,5 Prozent Kapitalanteil auch neuer Mehrheitseigner werden. Im Gegenzug ist der Sitz des neuen Unternehmens, das in Frankreich börsennotiert sein soll, in Saint Ouen bei Paris. Vorstandsvorsitzender soll der derzeitige Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge werden. „Wir haben ein Führungsmodell, das gleichgewichtig ist“, versicherte Kaeser. „Die Prozentzahlen haben keine Bedeutung. Wir sitzen bei diesem Abenteuer alle in einem Boot.“  Kaesar weiter: „Wir setzen die europäische Idee in die Tat um.“

Dennoch schrieb „Le Monde“ von einer „Hochzeit mit deutschem Akzent“. „Wird der TGV jetzt deutsch?“, fragte der frühere konservative Haushaltsminister Eric Woerth im Kurznachrichtendienst Twitter. „Warum akzeptiert die Regierung ein solches Ungleichgewicht?“ Alstom, das seit mehr als 40 Jahren den TGV baut, gehört in Frankreich immer noch zum industriellen Tafelsilber. Deshalb rettete der Staat im vergangenen Jahr mit einem Großauftrag über 15 TGV auch das Stammwerk im ostfranzösischen Belfort.

Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sprach von einer Partnerschaft unter Gleichen, die die Wettbewerbsfähigkeit von Alstom stärke. „Diese Operation zeigt den Willen der Regierung, das industrielle Europa und die europäische Wirtschaftspolitik zu stärken“, erklärte Le Maire. Das neue Unternehmen, das noch das grüne Licht der Wettbewerbsbehörden braucht, hat einen Auftragsbestand von 61,2 Milliarden Euro und erwirtschaftet einen Umsatz von 15,3 Milliarden Euro. Der neue „Airbus der Schiene“ beschäftigt 62 300 Angestellte in mehr als 60 Ländern. In Deutschland betrifft die Fusion über 13 500 Beschäftigte.

Die Bundesregierung hat die geplante Zusammenlegung des Bahngeschäfts von Siemens und Alstom begrüßt. Dies sei ein Kooperationsprojekt von europäischem und globalem Rang, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Die Entscheidung sei ein klares Signal, dass der europäische Binnenmarkt auch in der Realität der Unternehmen zusammenwachse.

Positiv sei auch, dass bei der Entscheidung Arbeitnehmervertreter und Management von Siemens abgestimmt vorgehen. Zu begrüßen sei ferner, dass es an den wichtigen Standorten beider Unternehmen in Deutschland und Frankreich „gleichgerichtete Zusagen“ zum Erhalt der Beschäftigung gebe. „Wir sehen bei beiden Partnern ein hohes Innovationspotenzial“, sagte Seibert weiter. Die Bahnindus­trie in Deutschland und Europa sei ein wichtiger Wirtschaftszweig und ein Motor der Innovation für die Mobilität der Zukunft.

Auch die Deutsche Bahn sieht die geplante Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom positiv. Das Bündnis der deutschen und französischen Fahrzeughersteller bedeute eine „Internationalisierung des Eisenbahnmarktes“, die neuen Schwung in diesen Markt bringen werde, sagte eine Konzernsprecherin gestern in Berlin. Man halte es zudem für wahrscheinlich, dass das verbundene Unternehmen stärker als bisher Produktinnovationen hervorbringe. Zugleich gehe die Bahn davon aus, dass Siemens die laufenden Verträge mit ihrem Großkunden erfüllen werde, fügte die Sprecherin hinzu. Sie hätten ein Volumen von 5,6 Milliarden Euro, darin enthalten sind vor allem 130 Züge der neuen ICE-4-Flotte, die bis 2023 ausgeliefert werden sollen.

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