Nach „Old School“-Art

Saarbrücken · Weniger als ein Opernfest kann es kaum werden: Am Freitag und Sonntag führt die Deutsche Radio Philharmonie in Saarbrücken unter Karel Mark Chichon mit Weltklasse-Sängern konzertant „La Bohème“ auf.

 Wie hat der Maestro das jetzt wieder gemeint? Tenor Ho-Yoon Chung (Rodolfo) schaut sicherheitshalber nochmal in die Partitur, Fabio Capitanucci (Marcello, Mitte) fixiert DRP-Chefdirigent Karel Mark Chichon. Fotos: Oliver Dietze

Wie hat der Maestro das jetzt wieder gemeint? Tenor Ho-Yoon Chung (Rodolfo) schaut sicherheitshalber nochmal in die Partitur, Fabio Capitanucci (Marcello, Mitte) fixiert DRP-Chefdirigent Karel Mark Chichon. Fotos: Oliver Dietze

Schon 'ne merkwürdige Sache das, mit der Oper. So etwas müde, wie sie da sitzt - Jeans, kurzes Jäckchen - könnte sie eine x-beliebige junge Frau sein. Nach einem stressigen Bürotag. Und er? Mit Laptoptasche, ein Student? Kaum aber singen sie, wirkt der Verwandlungszauber der Oper. Sind sie die berühmten, bis in den Schwindsuchttod Liebenden Mimi und Rodolfo. Elek trisiert bis zur Gänsehaut lauscht man beiden, Grazia Dorizio und Ho-Yoon Chung. Vergessen das Waschküchenklima in der Congresshalle. Vergessen ist, dass auch honorige Sinfoniker in T-Shirts und Sandalen eher nach Grillabend als nach großer Oper aussehen. Und, dass Orchesterproben oft mühsames Stückwerk sind.

Mehr als ein paar Dutzend Takte ensuite von Puccinis "La Bohème" gibt's an diesem Nachmittag kaum. "Clean up" nennt Dirigent Karel Mark Chichon das, was er mit der Deutschen Radio Philharmonie (DRP) und den Solisten durchexerziert. Unerbittliche Klangarbeit. In Englisch, Deutsch, Italienisch, bisweilen sogar polyglott komprimiert in einem Satz, fordert der britische Dirigent: "Forte piano, subito"; "spielen sie das nicht so, als würden sie durch den Park gehen." Ein Diktator manchmal. Dann wieder verteilt er Streicheleinheiten vom Pult: "Sie spielen alle sehr gut." Aber Solisten wie Orchester spornt das emotionale Wechselbad wohl an. Alle ziehen mit: Es geht ja um Großes.

Für das Rundfunk-Orchester, das SR und SWR gemeinsam tragen, sind die beiden "Bohème"-Aufführungen am Freitag und Sonntag denn auch mehr als ein Konzert, es ist eine Leistungsschau. Fürs Publikum soll es ein, wenn nicht das Opernereignis hier sein. Und für Chichon, der bloß noch eine DRP-Saison vor sich hat, fast schon eine Abschiedsgala. "Das Publikum soll ‚wow' sagen", bekundet der Mittvierziger gewohnt selbstbewusst. Seit er 2011 Chef in Saarbrücken wurde, wollte Chichon sich und die DRP bereits so präsentieren. Spät kommt es nun dazu. Nachdem sich der Maestro und sein Orchester quasi schon auseinander gelebt haben.

Voriges Jahr gab man bekannt, es werde keine Vertragsverlängerung geben. In gegenseitigem Einvernehmen - wie das dann immer so schön heißt. Zu groß waren die Reibungsverluste durch Chichons kaum diplomatisch gebremstes Anspruchsdenken. "Old School" nennt er das selbst - und ist überzeugt, es ist der einzig mögliche Weg. Noch vor der Sommerpause soll nun seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger benannt werden.

Bei der Probe in Saarbrücken aber spürt man: Musikalisch lodert das Feuer noch. Im Konzert waren und bleiben die DRP und ihr Noch-Chef ein Traumpaar. Dieses spezielle Projekt aber soll auch "Transformation" bewirken, sagt Chichon - vom Sinfonie- zum Opernorchester. Zumindest zeitweise. "Was deutsche Orchestermusiker auszeichnet, ist, dass sie schon in der Ausbildung lernen, absolut präzise zu sein, ein Staccato ist immer ein Staccato", meint Chichon. Das funktioniere wunderbar bei Beethoven oder Brahms. Bei Puccini, bei der Oper aber gelte es, in der Begleitung der Sänger, eine gewisse Geschmeidigkeit zu lernen, zuzuhören und feinfühlig zu reagieren. Der Brite, dessen Stern als Operndirigent steigt und steigt (zuletzt wurde er an der New Yorker Met für seine "Madama Butterfly" von der Kritik gerühmt), begreift das Zusammenwirken mit Sängern als eine Art Zauberformel für seine Klangarbeit.

Dazu stehen nun in Saarbrücken Top-Solisten bereit. Grazia Dorozio etwa hat die Mimi schon in Amsterdam und Atlanta gesungen, der südkoreanische Tenor Ho-Yoon Chung ist Dauergast an großen Häusern von Wien bis London. Und Bariton Fabio Capitanucci singt den Marcello in Tokyo wie in London. Zwei statt sonst einer Woche Probe wurden nun angesetzt. 150 000 Euro kostet diese Produktion alles in allem, erklärt DRP-Orchestermanager Benedikt Fohr. Viel Geld, doch dafür kann das Spitzenorchester nun tatsächlich mit Weltklasse arbeiten. Chichon selbst hat die Sänger ausgewählt. "In dieser Zusammensetzung ist es eine bestmögliche Besetzung", schwärmt er. Aber auch die Chöre sind hervorragend. Denn Chor, Extrachor und Kinderchor kommen vom Saarländischen Staatstheater. Umso bemerkenswerter, weil die Bühne am Samstag selbst ihre "Falstaff"-Premiere stemmt, auch ein dicker Brocken. "Wir sind dem Theater wirklich sehr dankbar", so Fohr, "dass es diesen Kraftakt mitmacht."

Ganz sicher aber wird sich nach den Opernabenden, zumindest beim Publikum, auch Wehmut einstellen, dass die DRP-Zeit mit Chichon nun bald endet. Wie es dann weitergeht, ist noch Verschlusssache. Vier bis fünf Kandidaten waren in der engeren Auswahl. Eine, die junge litauische Dirigentin Mirga Gra{zcaron}inyte-Tyla, geht aber zum City of Birmingham Orchestra.

Der amtierende Chef will über die Zeit nach ihm nicht viele Worte machen. "Leicht dürfte das nicht werden", meint er. Man suche wohl jemand, der "ein bisschen was von ihm" habe. Also künstlerisch durchaus mal fordernd, ansonsten aber merklich verbindlicher. Man wird sehen, ob er Recht behält. Jetzt aber darf man sich erstmal auf die DRP, Weltklasse-Solisten, tolle Chöre und das Ergebnis von viel "Old School"-Arbeit freuen.

Konzerte: Freitag, 20 Uhr, und Sonntag, 17 Uhr, Congresshalle Saarbrücken. Für beide Termine gibt es noch Karten.

deutscheradiophil-

 Manchmal bedeutet Probenarbeit auch nur lange, lange warten: Alessandra Marianelli, die die Musetta singt.

Manchmal bedeutet Probenarbeit auch nur lange, lange warten: Alessandra Marianelli, die die Musetta singt.

harmonie.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort