Modernisierung im Zeichen der „dritten Orte“

Saarbrücken · Am Samstag wird, wie alle Jahre wieder, der Welttag des Buches gefeiert. Früher waren Bibliotheken nur Aufenthalthaltsorte für Bücher, längst sind sie es auch für ihre Nutzer geworden. Mit Erfolg.

Das romantisierende Bild von der Bibliothek als Schatzkammer des Wissens, in der alte Folianten, ledergebundene Erstausgaben und überhaupt kilometerweise lauter bewahrenswerte Buchwelten gehütet werden, wird zwar gerne bemüht, wenn von Bibliotheken die Rede ist. Die Ehrwürdigkeit, die es vermitteln soll, aber wirkt heute deplatziert. Ist Nostalgiegerede. Monetär bluten die meisten aus. Großbibliotheken muten heute eher wie gewaltige Datenbanken an, die auf ihren Servern den oftmals nurmehr digital vorliegenden wissenschaftlichen Ertrag von Hochschulen und sonstigen Forschungseinrichtungen als Datensatz verwalten. In den naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen, wo fast nur noch elek tronisch publiziert wird, jedenfalls ist das Buch seit Jahren out.

Aber auch das ist allenfalls die halbe Wahrheit über Rolle und Profil von Bibliotheken heute. Sie mutieren weder zu reinen, digitalen Archivierungs- und Bereitstellungszentren mit IP-Zugang, noch sind umgekehrt etwa Gemeindebüchereien, die vornehmlich Gedrucktes hochhalten, Papiermuseen, die im Netzzeitalter obsolet werden. Denn ebenso wahr ist, dass sie alle (ob Unibibliotheken oder Stadtbüchereien) alles andere als aus der Mode gekommen sind. Im Gegenteil: Landauf, landab ist ihr Zulauf nicht nur ungebrochen, viele sind als Versorgungsstätten mit U- und E-Nahrung beliebter denn je. Die Ausleihzahlen steigen stetig. Laut einer Allensbach-Studie besuchte 2015 gut ein Viertel der deutschen Bevölkerung regelmäßig eine Bibliothek.

Früher oder später stößt man auf der Suche nach fachkundigen Zustandsbildern deutscher Bibliotheken auf Ray Oldenburgs in den 70ern entwickelte "Theorie des dritten Ortes". Tatsächlich taugt, was der US-Soziologe mit Blick auf die Verödung amerikanischer Wohngebiete auf Bars und Restaurants münzte, als Erklärungsansatz für das Erfolgsmodell Bibliothek. Menschen, erkannte Oldenburg, suchen abseits von Privatheit und Arbeitsplatz nach "dritten Orten", an denen sie einkehren, stöbern, sich austauschen. Sind Bibliotheken aber nun gleich Sozialbörsen, wie das in blumigen Texten niedlich besungen wird? Nein, hüten sollte man sich, das Gemeinschaftserlebnis Bibliothek zu idealisieren. Sie sind keine Kneipen. Als "dritte Orte" funktionieren sie dennoch - aus ganz praktischen Gründen. Zum einen ist es sehr viel billiger, Bücher und sonstige Medien auszuleihen als zu kaufen. Was Nutzern leichter gemacht wird, seit Service und Ausleihsystem professionalisiert wurden. Zum anderen werden nicht nur Hochschul-Bibliotheken heute auch als Lernorte (und Rückzugsräume) genutzt. Nicht zuletzt deshalb, weil in ihre Aufenthaltsqualität investiert wurde.

Dass das Bundesverfassungsgericht (anders als bei wissenschaftlichen Häusern) Ende 2014 der Sonntagsöffnung von Bibliotheken einen Riegel verschob, begrenzt leider ihr Nutzungspotenzial für Familien.

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