Vorwurf der Vergewaltigung Verhandlung gegen Harvey Weinstein startet in New York

New York · Sein Fall erschütterte die Welt und löste die MeToo-Bewegung aus. Mehr als zwei Jahre später beginnt nun der Prozess gegen den Ex-Filmmogul.

Wenn Harvey Weinstein an diesem Montag das Oberste Gericht des Staates New York betreten wird, ist die Welt eine andere als 2017, als der Filmmogul zum Symbol sexueller Übergriffe geworden war. Entscheidend beim Prozess des Jahres wird sein, ob der Fall, der die MeToo-Ära eingeläutet hat, auch vor einem Strafgericht besteht. Der Ausgang ist völlig offen. Bevor es richtig losgehen kann, muss erst noch die Jury ausgewählt werden, was bei einem solchen schlagzeilenträchtigen Prozess einige Tage dauern kann.

Zwar hatten mehr als 80 Frauen Vorwürfe gegen Weinstein erhoben, verhandelt werden nur zwei Vorfälle aus den Jahren 2006 und 2013 – erzwungener Oralverkehr und Vergewaltigung. Von ihnen erhofft sich die Anklage offensichtlich die besten Chancen auf eine Verurteilung. Ob Weinstein schuldig ist? Die Öffentlichkeit scheint sich ihr Bild längst gemacht zu haben. Doch nun müssen die Staatsanwälte juristisch beweisen, dass er sich der Vergewaltigung, krimineller sexueller Handlungen und räuberischer sexueller Übergriffe schuldig gemacht hat. Weinstein betonte immer wieder, jegliche Handlungen seien einvernehmlich gewesen. Falls er schuldig gesprochen wird, kann er Berufung einlegen.

Für viele wird bei dem Prozess nicht nur über den Multi-Millionär Gericht gehalten, sondern über ein Muster männlichen Machtmissbrauchs. Das Urteil, das am Ende steht, dürfte entweder Genugtuung oder Entsetzen bei Millionen Opfern von sexueller Gewalt auslösen.

Die Geschichte der Vorwürfe gegen den Produzenten begann lange vor dem Dammbruch 2017. Seine angeblichen sexuellen Übergriffe waren in Hollywood und in der Schauspielszene New Yorks ein offenes Geheimnis. Sängerin Courtney Love antwortete 2005 auf die Frage einer Reporterin, was sie jungen Schauspielern in Hollywood rate: „Wenn Harvey Weinstein dich zu einer privaten Party ins ‚Four Seasons’ einlädt, gehe nicht hin.“ Es dauerte trotzdem bis zum Oktober 2017, bis die New York Times und der New Yorker trotz aggressiver Klage-Drohungen über die Vorwürfe mehrerer Frauen berichteten.

Den mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Artikeln folgte eine Welle neuer Enthüllungen. Dutzende Frauen – darunter bekannte Schauspielerinnen wie Angelina Jolie, Uma Thurman und Salma Hayek – beschuldigten Weinstein, sie angefasst, sich ihnen aufgedrängt und in einzelnen Fällen auch vergewaltigt zu haben. Weinstein gab Fehler zu, bestritt aber kriminelle Handlungen.

Die sich mehrenden Vorwürfe ergaben ein Muster: Der schwerreiche Weinstein, der die Branche dominierte und mit Filmen wie „Pulp Fiction“ und „Good Will Hunting“ Oscars einheimste, nutzte seine Macht und versprach jungen Frauen die große Karriere, um sie gefügig zu machen. Und wenn es doch Probleme gab, erkaufte er sich ihr Schweigen mit außergerichtlichen Einigungen.

Als die Anschuldigungen gegen Weinstein ans Tageslicht kamen, erkannten viele Frauen und auch einige Männer überall auf der Welt ihre eigenen Geschichten in denen der Weinstein-Opfer wieder. Sie begannen, sie unter dem Schlagwort ­„MeToo“ („Ich auch“) zu sammeln. Das Spektrum reichte von blöden Sprüchen, unflätigem Verhalten über Machtmissbrauch bis hin zu jahrelanger Gewalt. Ein Jahr später gab es insgesamt 19 Millionen Tweets mit dem mittlerweile weltbekannten Hashtag.

Die entfesselten Geschichten brachten vor allem in den USA eine Reihe von mächtigen Männern zu Fall, die New York Times zählte vergangenen Herbst 201 Fälle. Darunter Oscar-Preisträger Kevin Spacey, der seine Titelrolle in der Politserie „House of Cards“ verlor, auch wenn ihm nie der Prozess gemacht wurde. Als einziger Verurteilter der MeToo-Ära gilt bisher Entertainer Bill Cosby, der seit 2018 wegen sexueller Nötigung im Gefängnis sitzt.

Zudem machten sich auch zunehmend Regierungen Gedanken über den Schutz von Frauen. In Schweden wurde ein Gesetz auf den Weg gebracht, demzufolge beim Sex beide Partner ausdrücklich und erkennbar mit Geschlechtsverkehr einverstanden sein müssen. Alles andere wird als Vergewaltigung gewertet.

Harvey Weinstein unterdessen freut sich auf seinen Prozess, um sich von den Vorwürfen reinwaschen zu können, wie seine Anwältin Donna Rotunna kürzlich sagte. Sie kündigte eine aggressive Verteidigung für ihren Mandanten an: „Nur weil jemand etwas behauptet, macht es das noch nicht wahr“. Daniel Richman, Jura-Professor an der Columbia Universität in New York, sagt, dass es für das Weinstein-Lager darauf ankommt, Zweifel zu säen: „Generell sieht man in Fällen wie diesen Versuche, die Erinnerung von Zeugen anzugreifen oder nahezulegen, dass sie ein Motiv haben, sich Dinge auszudenken.“

Das Ziel der Anklage müsste sein, zu zeigen, dass diese Frauen glaubhaft von Dingen berichten, die passiert sind, obwohl Erinnerungen verschwommen sein können. Eine weitere Rolle im Prozess dürfte der Gesundheitszustand des 67-jährigen Weinstein spielen. Zuletzt kam er nach einem Autounfall mit Gehhilfe zu den Anhörungen im Gericht.

Der Schlüssel für beide Seiten ist, die Jury für sich zu gewinnen. Sie allein entscheidet über Schuld oder Unschuld Weinsteins. „Alles ist möglich. Das heißt, die Geschworenen – wenn sie erst einmal ausgewählt sind – sind Menschen (...)“, sagt Experte Richman.

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