Ausbildung Gute Lehrlinge werden händeringend gesucht

Berlin · Viele Firmen tun sich immer schwerer, Auszubildende zu finden, die ihren Ansprüchen genügen. Auch Flüchtlinge haben gute Chancen.

  Lehrling Marc Depken hat offenbar seinen Traumberuf gefunden. Der junge Mann will Tischler werden.

 Lehrling Marc Depken hat offenbar seinen Traumberuf gefunden. Der junge Mann will Tischler werden.

Foto: dpa-tmn/Ingo Wagner

Sie bezahlen ihrem Lehrling den Führerschein, eine Vergütung über Tarif, einen Bonus für gute Berufsschulnoten. Sie gewähren großzügig Urlaub und geben Geld für bessere Berufskleidung, Bücher oder gar Fitnessclub-Mitgliedschaften. Jeder zehnte Betrieb   hat mittlerweile solche Not, „Azubis“ zu gewinnen, dass er auf finanzielle und materielle Anreize  setzen muss.   Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat für seinen Report „Ausbildung 2017“ Eindrücke und Stimmungen in gut 10 500 Betrieben gesammelt.

Wie ist die Lage am Lehrstellenmarkt aus Sicht der Unternehmen?

Angespannt wäre noch untertrieben. „Heute können über doppelt so viele Betriebe ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen wie vor zehn Jahren“, bedauert DIHK-Präsident Eric Schweitzer. „Inzwischen ist das bei knapp einem Drittel der Unternehmen der Fall. Fast jeder zehnte Ausbildungsbetrieb hat noch nicht einmal eine Bewerbung erhalten“, erläutert er.

Decken sich diese Einschätzungen mit offiziellen Zahlen?

Im Großen und Ganzen schon. Nach dem Anfang April veröffentlichten Berufsbildungsbericht der Bundesregierung sank die Gesamtzahl der neu abgeschlossenen Lehrverträge 2016 auf gut 520 000. Fünf Jahre davor wurden noch fast 570 000 Lehrstellen besiegelt. Als Erklärung gelten die demografische Entwicklung mit immer weniger jungen Menschen in Deutschland und der Trend zum Studium (Wintersemester 2016: 508 000 Erstsemester). Die Zahl offener Azubi-Plätze wuchs im Vorjahr um 4,5 Prozent auf 43 500. Der DIHK geht aber eher von 100 000 aus.

Hat also quasi jeder Lehrstellenbewerber die freie Auswahl?

Rein theoretisch können sich derzeit 100 Schulabgänger aus 104 Ausbildungsangeboten bedienen. Doch obwohl die Betriebe schon 2016  händeringend suchten, gingen gut 20 000 Jugendliche leer aus. Der Grund: sogenannte Passungsprobleme – etwa weil Jugendliche mit ihren Abschlüssen nicht den Ansprüchen der Firmen genügten oder weil sie nicht mobil genug waren. Der DIHK-Report stellt trotz aller Notlagen klar: „Qualifizierte Ausbildung braucht gute Schulbildung.“ Aber gerade diese sei angesichts gravierender Mängel von Schulabgängern in Deutsch und Mathematik ein Problem für viele Ausbildungsbetriebe.

Wie steht es denn um die „Ausbildungsreife“ der Bewerber?

Nach DIHK-Eindrücken nicht gut. Laut Umfrage sank der Anteil der Lehrbetriebe, die total zufrieden mit den angebotenen Qualifikationen sind, auf unter zehn Prozent. Umgekehrt stellten 91 Prozent der Firmen Mängel fest – und passten sich an: „Der Anteil der Betriebe, die keine Möglichkeit sehen, lernschwächere Jugendliche auszubilden, sinkt stetig“, heißt es im Ausbildungsreport. „War es 2014 noch ein Drittel der Betriebe, so ist es aktuell nur noch gut ein Fünftel (21 Prozent).“ Mit Nachhilfe oder einer „Assistierten Ausbildung“ gelinge immer mehr dieser Jugendlichen der Einstieg.

Zu wenig Bewerber oder die falschen: Müssen Firmen woanders suchen?

Es sei nun „umso wichtiger, dass wir vorhandene Potenziale nutzen“, etwa von Studienabbrechern oder Flüchtlingen, so das Credo von DIHK-Chef Schweitzer. Derzeit landen immerhin 43 Prozent der Studienabbrecher zügig in einer Berufsausbildung (2008: 22 Prozent). Den DIHK-Betrieben sind solche schulisch gut gebildeten Menschen hochwillkommen, sagt Vize-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. „Aber besser wäre es natürlich, sie gingen ohne den Umweg eines abgebrochenen Studiums in die duale Ausbildung.“ Auch bei Flüchtlingen werden Firmen fündig: Derzeit bilden rund sieben Prozent der DIHK-Betriebe Geflüchtete aus (2016: drei Prozent). Fast jedes fünfte Unternehmen will demnächst Flüchtlinge als Lehrlinge nehmen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen – vor allem Deutschkenntnisse und ein gesicherter Aufenthaltsstatus.

Und was sagen die Gewerkschaften zur DIHK-Analyse?

Auch der DGB findet die Lage auf dem Ausbildungsmarkt nicht rosig - allerdings aus anderen Gründen. „Die Spannungen nehmen zu“, sagt DGB-Vize Elke Hannack. „Jugendliche mit einem niedrigeren Schulabschluss sind von vielen Angeboten oft von vorneherein ausgeschlossen.“ Wegen dieser „Bestenauslese“ hätten derzeit gut 1,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren keine abgeschlossene Ausbildung. Hannack verweist zudem auf den Übergangsbereich zwischen Schule und Berufsausbildung: „Die Zahl der Jugendlichen in den Warteschleifen nimmt wieder zu.“

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