Kritzeln, Beizen und Erzählen

St Wendel · Das Museum St. Wendel präsentiert in der Ausstellung „Geläufiges Gelände. Kritzelbarock“ Arbeiten des gebürtigen Saarbrückers Volker Lehnert. Am Sonntag wird sie eröffnet.

 „Keine Spur vom Leoparden“ heißt diese Zeichung, die 2014 in Palermo entstand. Foto: Volker Lehnert

„Keine Spur vom Leoparden“ heißt diese Zeichung, die 2014 in Palermo entstand. Foto: Volker Lehnert

Foto: Volker Lehnert

Den Begriff "Kritzelei" hören Künstler nicht gerne. Auch Volkert Lehnert mag das Wort nicht so sehr. Trotzdem wählte er es als Titel seiner St. Wendeler Ausstellung. Schaut man sich die Arbeiten an, dann erinnern gerade die neueren Werke tatsächlich an Kritzeleien, und die Zeichnungen scheinen auf den ersten Blick dem fieberhaften Suchen nach der "richtigen" Linie geschuldet. Doch Lehnerts Zeichnungen sind keine zufälligen Gedankenspiele, sondern wohl kalkuliert und komponiert. Das krakelige Spiel mit der Linie ist hier kein handwerklicher Fehler, sondern führt zu einer Konzentration auf das Wesentliche.

Lehnert zeichnet vor allem mit Bleistiften. Immer wieder klebt er Zeichnungsschnipsel dazu oder auch eine Kalendernotiz. Manchmal sind es auch nur Schraffuren oder liniertes Papier. Farbigkeit erreicht er mit Buntstiften und auch mit Beize, die er verdünnt wie Lasuren über der Zeichnung verstreicht, manchmal aber auch als Zeichenmittel nutzt. Um die Rohheit heruntergekommener Stadtviertel zu illustrieren, greift er zur Sprühpistole und übermalt die Zeichnungen wie ein Graffitikünstler.

Die Ausstellung gibt eine wunderbare Übersicht über Lehnerts zeichnerisches Werk. Bei dem Stuttgarter Kunstprofessor sind Zeichnung und Malerei gleichberechtigt. Am Zeichnen reizt ihn vor allem die Schärfe, mit der er abbilden kann. Dabei sind Lehnerts Zeichnungen aus den 2000er Jahren seiner Malerei sehr ähnlich. Da hatte der Künstler oftmals comicartige Versatzstücke zu Geschichten zusammengebaut. In den letzten Jahren hat sich dieses narrative Element verschoben. Lehnert fabuliert nicht mehr so sehr vor sich hin. Seine neueren Werke sind aber auch Geschichten. Davon, was er gesehen und erlebt hat.

Wenigstens ein Mal im Jahr begibt sich der in Saarbrücken geborene Künstler auf Reisen und arbeitet in einer fremden Stadt. Die erwandert er sich in stundenlangen Spaziergängen, bei denen er zeichnet. Dabei geht es aber nicht um bloße Illustration mit hohem Wiedererkennungswert, sondern um ein subjektives Festhalten von Architektur, urbanem Raum und den Menschen darin.

Die Bildtitel erklären wenig, regen aber zum Betrachten an. Bei "Gehäuse für ein Pferdegeschirr" fahren die Gedanken schnell Achterbahn, denn das Bild zeigt Versatzstücke der gotischen Kathedrale in Carpentras - aber weder ein Gehäuse noch ein Pferd. Die Geschichte dahinter erzählt Lehnert mit verschmitztem Lächeln. Er habe sich über die Zeichen auf den Kanaldeckeln gewundert und herausgefunden, dass es sich um eine Pferdetrense handelt. Sie ist Wahrzeichen der Stadt, und in der Kathedrale befindet sich als Reliquie ein solches Mundstück eines Pferdezaumzeuges, das Konstantin I. gehört haben soll. Das "Gehäuse für das Pferdegeschirr" ist also nur ein euphemistischer Ausdruck für das gotische Gotteshaus. So spielt der Künstler mit dem Betrachter und lädt ihn so erst recht zum intensiven Schauen ein.

Etwas verwirrend ist auch der zweite Teil des Ausstellungstitels. Tatsächlich findet sich in vielen Zeichnungen barocke Architektur, doch die Arbeiten zeigen auch Moscheen in Istanbul, Romanik und Gotik in Avignon, Moderne in Lissabon. Manchmal sind die Arbeiten fast surrealistisch, dann wieder abstrakter und schon beim nächsten Bild wieder höchst realistisch. Langweilig wird es so nie, und zwischen den Zeichnungen entsteht Spannung. "Kritzelbarock" spielt wohl eher auf das üppige Gesamtwerk des Künstlers an und weniger auf das Gezeigte.

Bis 5. Juni. Vernissage am Sonntag um 15 Uhr.

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